250 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
nicht verständigt. Wir mußten also die Frage in das Plenum bringen.
Hier entstand natürlich eine Konfusion. Der Reichskanzler und die Ver-
sammlung hatten keine Ahnung, um was es sich handelte, und so deutlich
ich auch die Sache wiederholt explizierte, so wurden doch die Fragen bei
der Abstimmung nicht immer richtig gestellt. Zuletzt wurde die Kommission
beauftragt, nochmals über Vranja zu beraten und wieder Vortrag zu
halten. Wir sollen durch Majorität beschließen. Die Sitzung dauerte bis
6 Uhr. Während ich an meinem Bericht für den Kronprinzen schrieb,
kam der Reichskanzler in den Saal und lud mich ein, bei ihm zu essen,
was ich auch tat. Es waren verschiedene jüngere Herren vom Auswärtigen
Amt da. Wir aßen Suppe, dann Aal, dann kalten Fisch, dann Krevetten,
darauf Hummer, dann Rauchfleisch, dann wieder rohen Schinken, endlich
Braten und Mehlspeise. Alles geeignet, den Magen gründlich zu ver-
derben.
Um ½10 Uhr hatten wir wieder Kommissionssitzung. Es wurde
weiterredigiert bis ½12 Uhr. Dann ging ich zu Odo Russell. Der
Gegenstand aller politischen Salongespräche war der Vertrag Englands
mit der Türkei wegen Cypern.1) Die Italiener und Franzosen waren
dadurch nicht angenehm berührt.
10. Juli.
Am Morgen des 9. Kommissionssitzung wegen der letzten Grenz-
bestimmungen von Serbien. Wir warteten lange auf Oberstleutnant
Bluhme, der endlich kam und die Grenze von Serbien brachte. Wir
nahmen sie mit 5 gegen 2 Stimmen an, ebenso die Westgrenze von Bul-
garien. Um 2 Uhr Plenarsitzung. Hier kam zuerst die Frage von Batum
zur Sprache, und es zeigte sich, daß bezüglich der asiatischen Grenze
Meinungsverschiedenheit zwischen Beaconsfield und Gortschakow bestand.
Infolgedessen erhielt die Delimitationskommission den Auftrag, sich damit
zu befassen. Dann kam der Antrag Gortschakows wegen der Garantien
des Vertrags zur Sprache. Es wurde viel geredet. Am besten sprach
der Reichskanzler, der dann auch Gortschakow überzeugte. Am Schlusse
noch verschiedene Anträge. Vorher hielt ich meinen Vortrag über Vranja
und die Westgrenze von Bulgarien und hatte die Befriedigung, daß nie-
mand Einsprache erhob.
Nach der Sitzung hielt die Delimitationskommission sofort ihre Sitzung,
um die Meinungsverschiedenheit zwischen Gortschakow und Beaconsfield
zu begleichen. Wir fanden nach langem Suchen ein kleines Stück, das
wir den Russen wieder abnehmen konnten, einige Gebirgsrücken, woraus
wir eine sogenannte „ligne de conciliation“ machten, die dann an-
1) Vom 4. Juni, der bis dahin geheimgehalten war.