Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 255 
erzählte, die im Sande verlaufen wird. Nachher zu Camphausen ins 
Hotel du Louvre. Er kam auf seinen Sturz, den er, wie auch ganz 
richtig, der Torheit der Nationalliberalen zuschreibt, die sich einbildeten, daß 
Stauffenberg Finanzminister werden müßte. 
Berlin, 15. September 1878. 
Seit meiner Ankunft suche ich die Stimmung im Reichstage zu son- 
dieren. Ich sehe viel Bitterkeit infolge des Wahlkampfs und der Stellung 
der Regierung zu den Nationalliberalen. Ich bemerke aber auch in den 
Gesprächen mit Forckenbeck, Bennigsen u. a., daß die Gefahr eines Kon- 
flikts zwischen den Nationalliberalen und dem Reichskanzler wohl erkannt 
wird. Bennigsen schien nicht abgeneigt, auf Verständigung einzugehen, und 
Forckenbeck erwartet Bismarcks Ankunft, um von ihm zu erfahren, welches 
seine Absichten seien. Das deutet doch nicht auf entschiedene Absicht, es 
zum Aeußersten zu bringen. Bleichröder dagegen ist der Meinung, daß der 
Bruch unvermeidlich sei. Mit Bennigsen sei nichts zu machen, denn dieser 
sei ganz in Laskers Händen und habe kein selbständiges Urteil, wenigstens 
keinen Willen, der von Lasker abweiche. Lasker aber sei mit Bismarck 
ganz zerfallen und sie haßten sich beide. Es sei deshalb vorauszusehen, 
daß die Verständigung nicht gelingen, das Gesetz) nicht angenommen und 
eine neue Auflösung folgen werde. Die Wahlen würden dann aber gegen 
den Reichskanzler ausfallen und dieser werde zurücktreten; das wollten die 
Nationalliberalen. Ich ging dann zum Essen, wo ich Gneist fand. Dieser 
teilt die pessimistischen Ansichten Bleichröders gar nicht. Er sagt, die 
Nationalliberalen könnten bei einem Rücktritt Bismarcks nichts gewinnen. 
Es sei nicht anzunehmen, daß sie darauf hinarbeiteten. Auch sei die 
Stimmung in der Fraktion dem Gesetze gegenüber nicht schlecht. Gewisse 
Konzessionen müsse die Regierung machen. Es sei schon viel, daß die 
polizeiliche Beschlagnahme der Zeitungen zugegeben werde. Von einer 
Zeitbestimmung für die Dauer des Gesetzes werde man nicht abgehen. 
Es sei von zwei, drei und fünf Jahren die Rede gewesen. Zwei Jahre 
empfehlen sich mehr als drei oder fünf. Drei fielen mit der Neuwahl 
zusammen, fünf seien nicht durchzusetzen. Zwei böten den Vorteil, daß 
der Reichstag, der das Gesetz beschlossen habe, auch dessen Verlängerung 
zu beschließen habe. Und im Grunde handle es sich doch darum, den 
günstigsten Zeitpunkt für die Verlängerung zu wählen. Was die Appel= 
lationsinstanz betreffe, so werde man wohl die Bundesratskommission 
annehmen, wenn diese durch einige Juristen verstärkt werde. Nur bei der 
Konzessionsentziehung, die tief in das Privateigentum eingreife, wolle man 
  
1) Zur Bekämpfung der Sozialdemokratie.
	        
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