Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

256 Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 
die Entscheidung des Richters beibehalten. Gneist meint, das Gesetz werde 
mit allen Stimmen der Nationalliberalen bis auf Lasker und etwa zwei 
andre angenommen werden. 
Berlin, 16. September 1878. 
Heute Morgen, als ich in den Reichstag kam und der Rede Reichen- 
spergers!) zuhörte, kam Hermann und teilte mir mit, daß der Reichskanzler 
heute ankommen würde. Ich fuhr sogleich nach Hause, packte mein Me- 
moire2) ein, in welches ich noch die Mitteilung aufgenommen hatte, die 
Marquardsen mir bei Kroll gemacht hatte, und brachte es in das Reichs- 
kanzlerpalais. Mir lag daran, daß er es zuerst lese. Dann zurück in den 
Reichstag, wo Stolberg, Eulenburg, Bebel und zuletzt Bamberger sprachen. 
Nachher allein gegessen. Um 8 Uhr in die Fraktion, dann in eine 
Bierkneipe mit den Fraktionsmitgliedern und um ½11 Uhr zu Bismarck. 
Es waren viele Leute da, so daß er nicht mit mir über mein Memoire 
reden konnte. Ich sah aber, daß er mir gegenüber besonders wohlwollend 
und freundlich gestimmt war, hoffe also, daß meine guten Ratschläge 
Eindruck gemacht haben werden. 
An den Fürsten Bismarck. 
Berlin, 16. September 1878. 
Eurer Durchlaucht erlaube ich mir im nachstehenden Bericht zu 
erstatten über die Eindrücke, die ich bei meinen Unterredungen mit den 
Abgeordneten empfangen habe. Vielleicht hat der Bericht Wert als Er- 
gänzung andrer Berichte. 
Daß die Stellung, in welcher sich ein Teil der nationalliberalen Partei 
während der Wahlen der Regierung und den als Regierungsorganen 
betrachteten Blättern gegenüber befunden hat, noch nachwirkt, ist nicht zu 
leugnen und ist selbstverständlich. 
Ich bin aber der Ansicht, daß es irrig wäre, wenn man daraus den 
Schluß zöge, die nationalliberale Partei sei entschlossen, der Regierung 
und speziell Eurer Durchlaucht gegenüber in eine oppositionelle Stellung 
zu treten. Die vernünftigen Elemente dieser Partei sehen in einem Kon- 
flikte des deutschen Bürgertums mit der Reichsregierung, ganz besonders 
im Hinblick auf Süddeutschland, eine Gefahr für das Reich. Sie werden 
also den Konflikt nicht hervorrufen. Daß sie im Gegenteil das Bedürfnis 
einer Verständigung fühlen, schließe ich aus der Aeußerung Forckenbecks, 
daß er bis jetzt von den Vertretern der Regierung nicht habe erfahren 
  
1) Am 16. und 17. September fand die erste Lesung des Gesetzentwurfs zur 
Bekämpfung der Sozialdemokratie statt. 
2) Das nachfolgende Schreiben an den Reichskanzler.
	        
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