Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 265 
saß ich mit Waddington, Gambetta und Ferry!) zusammen. Zuerst war 
die Rede von den neuen Gesetzen gegen die Jesuiten. Gambetta hält die 
Lage für ernst und unterschätzt nicht die Gefahr. Er würde noch strengere 
Maßregeln für angezeigt halten, so zum Beispiel die Schließung aller Eta- 
blissements nichtautorisierter Orden. Er erzählte viel von seinen Beob- 
achtungen über klerikalen Einfluß und Jesuitenerziehung. Er zitierte 
Aeußerungen von jungen Leuten, die bei den Jesuiten in der Schule waren 
und die die ganze Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts, ganz ab- 
gesehen von Voltaire, verdammten. Er sagt, wenn das so fortgehe, werde 
die Nation in zwei Lager gespalten, und es käme zum Bürgerkrieg. Ich 
sagte, es sei jetzt schon sehr spät, nachdem man dreißig Jahre lang die 
jesuitische Erziehung gehabt habe. Gambetta stimmte dem zu. Dann kam 
er auf die innere Lage im allgemeinen und erklärte, es sei nötig, den 
Scrutin de liste wieder einzuführen. Der Scrutin d'arrondissement gebe 
zu schlechte und mittelmäßige Kammern, deren Mitglieder nur Lokalinter- 
essen im Auge hätten. Damit eine Regierungspartei zu bilden, sei die 
Quadratur des Zirkels. Waddington, der früher ein Anhänger der Arron- 
dissementswahl war, erklärte, daß er nun auch anfange, den Scrutin de 
liste für nötig zu halten. Auffallend war, daß Gambetta behauptete, der 
Scrutin de liste sei nötig, um gemäßigte Wahlen herbeizuführen. Ueber- 
haupt sprach er in konservativem Sinne. Als Beispiel für die Wahlen 
führte er Belleville an und meinte, wenn er nicht dort gewählt worden 
wäre, so würde man einen ganz roten Abgeordneten bekommen haben. 
Von den Bonapartisten sagte er, daß sie keine Mittel mehr hätten und 
sehr im Niedergang begriffen seien. 
Es wurde dann noch viel von der schlechten Provinzialpresse ge- 
sprochen und von dem Einflusse, den Soubeyran auf die Pariser Presse 
ausübe. So habe er die „Marseillaise“ mit einer Summe von dreißig- 
tausend Franken bewogen, nicht gegen ihn zu schreiben. 
Paris, 13. April 1879. 
Turgenjew ist aus Rußland zurück, nachdem er dort Gegenstand all- 
gemeiner Ovationen war. Ich traf ihn gestern noch unter dem frischen 
Eindruck des Erlebten. Er sprach seine Verwunderung darüber aus, daß 
er so gefeiert worden sei, obgleich er sich nie mit Politik beschäftigt habe, 
und erklärte die Tatsache durch das Bedürfnis des russischen Volkes, einen 
  
1) Jules Ferry, Kultusminister im neuen Ministerium. Er brachte am 
15. März zwei Gesetzentwürfe an die Kammer, deren einer den katholischen Uni- 
versitäten das Recht der Verleihung der Grade entzog und die Bestimmung ent- 
hielt, daß kein Angehöriger einer religiösen nichtautorisierten Kongregation Unter- 
richt erteilen oder eine Schule leiten dürfe.
	        
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