Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 273
Feier, als alle „Vive la Röpublique!“ geschrien hatten, einer von den
Jungen „Vive le Roi!“ rief. Gambetta lächelte mitleidsvoll. Die andern
Schüler lärmten aber, schrien „Vive la République!“, warfen ihren
royalistischen Kameraden hinaus und erfreuten sich an den Klängen der
Marseillaise, die dazu gespielt wurde. Nach der Rede des Ministers, für die
ich ihm unter dem Beifall des uns gegenübersitzenden Publikums üblicher-
weise die Hand schüttelte, begann die Preisverteilung. Jeder Prix d'honneur
wurde dem Schüler übergeben. Der erste, der kam, erhielt durch mich seinen
Efeukranz und seine Bücher. Dann bat der Minister die andern Würden-
träger, der Reihe nach die Preise auszuteilen. An mich kam noch öfters
die Reihe. Nach und nach wurde die Sache etwas ermüdend. Als der
letzte Preis verteilt war, ging das vornehme Publikum in den Salon der
Frau Rektorin, wo allerlei Erfrischungen herumgereicht wurden. Ich fuhr
bald nach Hause, denn die Sache hatte über zwei Stunden gekostet.
Paris, 3. September 1879.
Im Konzert Besselièvre traf ich heute den Marschall Canrobert,
neben den ich mich setzte. Er war sehr mitteilend, erzählte von seinem
Besuch bei der Kaiserin, die er gefaßter gefunden hat, als er geglaubt
hatte. 1) Er war auf dem Grab der beiden Napoleons und fand da auf
dem Sarg des Prinzen Louis Napoleon einen Immortellenkranz von be-
sonderer Größe. Den hatten die Engländer von der Insel St. Helena
geschickt. Sie hatten die Immortellen aus dem Garten genommen, in dem
der erste Napoleon spazieren gegangen war. Er kam dann auf seine
Mission nach Schweden, als er die Thronbesteigung Napoleons III. noti-
sizierte. Damals war der Kaiser noch nicht verheiratet und der Prinz
Jerôme sein Erbe. Er erzählte, man habe ihm dort gesagt: „Eh bien,
vous avez un Auguste et après vous aurez un Tibèere.“ Und merk-
würdig sei es, daß auf Cäsar Augustus gefolgt, dessen Nachfolger, nach-
dem Marcellus jung gestorben, Tiberius geworden sei. Er rühmt den
Verstand des Prinzen Jerôme Napoleon. Er hat ihn besucht und ihm
seine Bedenken über seine Richtung ausgesprochen, worauf der Prinz
sagte: „Je ne vais pas aussi loin qu'on le dit.“ Ich fragte ihn, wie
es mit der Courage des Prinzen sei. Er versichert, der Vorwurf der
Feigheit sei Verleumdung. Er könne dies bezeugen, denn der Prinz habe
unter ihm gedient. Aber er sei ein Sybarit, und das Lagerleben habe
ihm nicht gefallen. Deshalb sei er gegen Canroberts Rat nach Konstanti-
nopel und von da nach Paris zurückgegangen, das habe ihm seine Repu-
tation der Feigheit gemacht. Canrobert klagt über die jetzigen Zustände
1) Nach dem Tode ihres Sohns am I1. Juni.
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. II 18