Im Reichstage (1870 bis 1874) 21
Preußens zu Süddeutschland darlegt. Darin beteuert er, daß Preußen
von Annexionsgedanken fern sei und den süddeutschen Staaten freie Hand
lasse. Dies ist aber eben unsfre Gefahr. Während der Kronprinz noch
dem Gedanken einer Reform der Bundesverfassung auf föderalistischer
Grundlage zugänglich zu sein schien, wird mir nach allen Nachrichten, die
ich höre, immer klarer, daß Bismarck uns nach dem Kriege ebenso wie
früher die Alternative stellen wird, entweder einfach in das Deutsche Reich
einzutreten oder draußen zu bleiben. Uns zuliebe die norddeutsche oder
deutsche Bundesverfassung zu ändern, wird ihm nicht einfallen. Damit
bestätigt sich, was ich schon im August 1866 gesagt habe. Damals
hätte Pfordten statt der Allianzverträge den Eintritt in einen Deutschen
Bund durchsetzen können, und zwar unter Bedingungen, die unfre Selb-
ständigkeit dauernder gewahrt hätten, als dies die bestehende norddeutsche
Bundesverfassung erwarten läßt. Aus diesen Tatsachen erklärt sich auch
die Hinneigung zu Oesterreich, die sich in den hiesigen Regierungskreisen
kundgibt. Bray soll einem Grafen Stadion gesagt haben: „Ihr seid in
Oesterreich sehr dumm gewesen, uns nicht sofort den Krieg zu erklären,
wenn wir mit Preußen gingen.“ So behauptet W.
Ob man sich hier dazu entschließen wird, eine ehrliche deutsche Politik
einzuschlagen, sich unter Hingabe eines Teils der Selbständigkeit an Deutsch-
land anzuschließen und dafür gewisse Bedingungen zu stellen, das bezweifle
ich. Wie ich die jetzigen Minister kenne, werden sie die Ereignisse ab-
warten und unter dem Druck derselben dann alles tun, was man ihnen
zumutet.
München, 21. August 1870.
Gestern ging ich mit Völderndorff spazieren, mit welchem ich über die
Frage des Friedensvertrags und der zu konstituierenden deutschen Verhältnisse
sprach. Er meinte, daß der österreichische Einfluß sich hier wieder sehr
geltend mache, daß von dort die Parole ausgegeben sei: „Keine Gebiets-
abtretung von Frankreich" und daß man hier dieser Warnung um so
geneigter Folge leisten wolle, als man hoffe, durch Ablehnung einer Terri-
torialvergrößerung mehr Chancen zu gewinnen, die „Selbständigkeit“ Bayerns
intakt zu erhalten. Er sieht das einzige Mittel, Bayern von dieser gefahr-
vollen Bahn abzubringen, in einem Ministerwechsel und riet mir deshalb,
mit Eisenhart zu sprechen. Ich hatte eine gewisse Scheu, mich jetzt den
maßgebenden Kreisen zu nähern, da ich von dem Grundsatz ausgehe, daß
man mich suchen muß, wenn man mich braucht, ging aber zu Eisenhart,
um Erkundigungen einzuziehen; da ich denselben aber nicht fand, so sprach
ich bei Marquard Barth vor. Dieser hatte Briefe aus Baden, Berlin
und Stuttgart. Alle diese Korrespondenten seiner Partei gingen von der
auf die Tatsache der raschen Entschlüsse des bayrischen Ministeriums