Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 287 
darauf, ob er glaube, daß St. Vallier nicht zu halten sei, worauf er sagte: 
Nein, aber man müsse die Sache erst einige Wochen hinziehen. 
Berlin, 20. Januar 1880. 
Den 16. hier angekommen. Heute Besuch von Herbert Bismarck und 
Dernburg. Das Resultat aller Besprechungen ist folgendes: Der Reichs- 
kanzler ist in Varzin nervös und zögert zu kommen, weil er sich fürchtet, 
daß er hier durch den Kaiser und alles andre zu sehr in Anspruch ge- 
nommen wird. Der Kaiser verliert etwas das Gedächtnis, erinnert sich 
nicht, was er unterzeichnet hat, und wird dann mitunter grob, wenn er 
hört, daß etwas geschehen ist, wovon er meint, keine Kenntnis erhalten 
zu haben. Der Reichskanzler will die Bülowsche Stelle noch nicht be- 
setzen. Als er neulich einen Bericht von mir las, der seinen Ansichten 
vollkommen entsprach, sagte er, nachdem er lange vor sich hingesehen hatte: 
„Ja, wenn ich den an Bülows Stelle haben könnte!“ Dernburg sagt 
mir dasselbe vom Standpunkt der Liberalen aus. Die Vertretung durch 
Radowitz genügt dem Fürsten nicht. Auch herrscht ein republikanisches 
System im Auswärtigen Amt, niemand will dem andern gehorchen: Otto 
Bülow, Radowitz, Bucher und Philipsborn. Ich sehe ein, daß ich allein 
in der Lage wäre, Ordnung in die Sachen zu bringen; ich sehe aber nicht 
ein, wie ich hier leben soll. Bleichröder spielt sich auf den Unterstaats- 
sekretär und tut, als mache er alles, insbesondere sei er es, der St. Vallier 
halten werde. Das agaciert den Reichskanzler und mit Recht. 
Der Kulturkampf liegt jetzt im Kultusministerium, das die Besprechungen 
zwischen Hübler und Jacobini studiert. Der Papst hat selbst an Bismarck 
geschrieben. Alles geht langsam vorwärts. Der Reichstag wird bis 
Ostern den Etat beraten, nach Ostern die Verlängerung der Budget- 
perioden auf zwei Jahre und das Septennat. Dann bin ich hier nötig. 
Daß ich vorher komme, scheint nicht erwartet zu werden. Das wäre also 
im April. 
Berlin, 20. Januar 1880. 
Heute um 4 Uhr war ich beim Kaiser. Er fing damit an, von dem 
Freycinetschen Ministerium zu sprechen, und bemerkte, daß es ihn eigent- 
lich gewundert hätte, daß Bismarck mir den Auftrag erteilt habe, das 
Ministerium in dieser Weise zu begrüßen,!) da man es ja doch noch nicht 
gekannt habe. Es möge ja besser sein, als man anfangs geglaubt habe, 
aber es sei doch etwas viel gewesen, dies gleich zu Anfang zu sagen, auch 
  
1) Fürst Hohenlohe hatte am Neujahrstage bei dem Empfange der Botschafter 
Herrn de Freycinet die Glückwünsche des Fürsten Bismarck und dessen Wunsch nach 
Erhaltung freundschaftlicher Beziehungen zu Frankreich ausgesprochen.
	        
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