Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

22 Im Reichstage (1870 bis 1874) 
gegründeten Voraussetzung aus, daß in Bayern ein großer Umschwung im 
nationalen Sinne stattgefunden habe, sie glaubten deshalb, daß man Bayern, 
sowohl der Kammer als der Regierung, die Initiative zu einer patriotisch- 
deutschen Tat überlassen könne. Daß dies Täuschung sei, hat ihnen Barth 
geantwortet und sich zugleich bereit erklärt, sich einer Agitation anzuschließen, 
die zweierlei bezwecken soll: Abtretung von Elsaß-Lothringen und Bildung 
eines einigen Deutschlands. Zu ersterem Zwecke wird die Presse verwendet 
werden, zum letzteren war von einem sogenannten Vorparlament die Rede, 
was aber Barth meines Erachtens mit Recht ablehnt, wogegen er sich zu 
einer Beschickung eines deutschen Abgeordnetentags in Berlin im Namen 
seiner Partei bereit erklärt. Barth sagt, diese Agitation werde große Dimen- 
sionen annehmen und dann erst werde der Augenblick gekommen sein, wo 
die bayrische Regierung, in Verlegenheit gesetzt, sich nach Hilfe umsehen 
werde. Bis dahin rät er mir, mich fernzuhalten. Sei einmal der 
Augenblick gekommen, wo man mich nötig habe, dann könnte ich entschieden 
auftreten und Bedingungen stellen, die meiner ministeriellen Tätigkeit eine 
gesunde Grundlage geben würden. 
Auch ich teile diese Ansicht und habe mich deshalb entschlossen, vor- 
läufig nichts zu tun, sondern abzuwarten, bis jene Agitation ihre Früchte 
getragen haben wird. 
München, 28. August 1870. 
Heute waren Barth und Professor Marquardsen bei mir. Letzterer 
war in Frankreich, in der Pfalz und in Heidelberg gewesen. Er sagt, 
die Stimmung der bayrischen Soldaten sei ganz preußenfreundlich geworden, 
und die Armee werde eine große Propaganda für die Vereinigung mit 
Norddeutschland machen, wenn sie zurückkomme. Insbesondere seien die 
Offiziere von der Notwendigkeit größerer Einheit in der Armeeorganisation 
überzeugt. Von Heidelberg erzählte er, daß dort (wie in ganz Baden) 
die Stimmung unbedingt für den Eintritt in den Norddeutschen Bund sei. 
Einige, namentlich Bureaukraten, wünschten eine Vergrößerung Badens durch 
das Elsaß und die Bildung eines Königreichs Alemannien. Als Marquardsen 
einigen Herren in Heidelberg darauf den Vorschlag gemacht habe, Mannheim 
und Heidelberg dafür an Bayern abzutreten, hätte sich aber alles dagegen 
ausgesprochen. Diese in Aussicht stehende Zumutung und die Gefahren, 
welche der Regierung aus einer solchen Vergrößerung drohen (wenigstens die 
Verlegenheiten), scheinen die größere Zahl der Liberalen und die Regierung 
für die Akquisition des Elsaß nicht sehr günstig zu stimmen. Man trägt sich 
mehr mit dem Gedanken, daß die neuerworbenen Gebietsteile deutsches Reichs- 
land werden sollten. Marquardsen bestätigte die früheren Nachrichten, 
welche dahin gingen, daß eine Dezentralisation und eine Reform der nord- 
deutschen Bundesverfassung im Sinne des Föderalismus nicht zu erwarten
	        
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