296 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
daß ich nicht bleiben will. Er weiß, daß ich ihm nutzen kann, und ich
fürchte, daß es noch manchen Kampf kosten wird, mich wieder loszumachen.
Von den Diplomaten ist Saburow der schwierigste, weil er immer irgend-
welche geheimnisvolle Geschichte macht. Odo Russell ist kulant, Szechenyi
ängstlich, Launay hat feuchte Hände und kann nie fertig werden. Sadul-
lah Bey ein umständlicher, etwas vertrottelter Türke. St. Vallier immer
sehr geschäftskundig.
16. Mai.
Der Reichskanzler klagte heute über die deutschen Souveräne und
meinte, diese Herren sollten doch froh sein, daß man ihnen ein schützendes
Dach geschaffen habe, unter dem sie leben könnten. Wenn sie so fort-
machten, würde er sich zurückziehen, und dann würde die Zentralisation
mit Macht hereinbrechen und sie wegschwemmen. Ich erwiderte, ich könnte
nicht glauben, daß diese Herren nicht klug genug seien, dies einzusehen.
Sie wüßten sehr gut, was sie an ihm hätten, Bayern besonders. Dar-
auf meinte er, ja, bisher habe er das auch geglaubt, aber das Verfahren
Rudharts!) habe ihm bewiesen, daß er, während er auf festem Boden zu
stehen glaubte, in einen Sumpf geraten sei.
Ich fand den Fürsten in großer Irritation über einen Brief des
Kaisers, der von ihm in der Hamburger Sache Auskunft verlangte. Nun
mußte er einen Immediatbericht diktieren, was ihn ärgerte.
München, 22. Mai 1880.
Herr von Crailsheim sagt, daß er mit der Auffassung des Reichs-
kanzlers in bezug auf die Behandlung der Hamburger Sache einverstanden
ist. Auch mißbilligt er das Verfahren Rudharts?) und ist der Ansicht,
daß es genügen würde, in einem Falle, wo ein Staat seine verfassungs-
mäßigen Rechte oder seine Reservatrechte bedroht glaubt, die Zuziehung
des Verfassungsausschusses zu dem andern betreffenden Ausschusse zu ver-
anlassen. Crailsheim hält es für nötig, die Verfassungsfragen möglichst
fernzuhalten. Davon kann er sich aber nicht überzeugen, daß Verfassungs-
fragen überhaupt vermieden werden sollten, d. h. daß man ein für alle-
1) Der bayrische Gesandte von Rudhart hatte in der Sitzung des Bundesrats
vom 3. Mai in Sachen des Zollanschlusses von Hamburg dem Reichskanzler wider-
sprochen. In einer Soiree bei dem Reichskanzler hatte ihm dieser deshalb Vor-
würfe gemacht. »
2) Welcher beantragt hatte, den Antrag Hamburgs, der Bundesrat möge er—
klären, daß die von Preußen geforderte Einverleibung eines Teils der hamburgischen
Vorstadt St. Pauli in das Zollvereinsgebiet ohne Zustimmung des Senats unzu-
lässig sei, dem Verfassungsausschuß zum Bericht zu überweisen.