302 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
nicht verschoben werden müsse, da sonst die preußischen Offiziere dazu ver-
wendet werden würden, den Widerstand der Pforte gegen die Mächte zu
leiten oder dabei mitzuwirken. Er trug mir auf, seine Bedenken dem
Reichskanzler vorzutragen.
An den Kronprinzen.
Berlin, 15. Juli 1880.
Eure Kaiserliche und Königliche Hoheit hatten bei meiner jüngsten
Anwesenheit in Potsdam die Gnade, mir Aufträge für den Reichskanzler
zu erteilen, die ich mich beeilt habe auszuführen und über welche ich mir
erlaube, untertänigsten Bericht zu erstatter
Was die Bedenken Eurer Kaiserlichen und Königlichen Hoheit gegen
die Entsendung von Offizieren und Beamten nach der Türkei betrifft, so
glaubt der Reichskanzler dieselben nicht teilen zu können. Er hält die
Maßregel in mehrfacher Beziehung für nützlich. Einmal sei die dort ent-
wickelte Tätigkeit für die Beteiligten lehrreich und gebe ihnen Gelegenheit,
das Maß ihrer Brauchbarkeit zu zeigen, und dann erwachse uns in ihnen
eine Anzahl von zuverlässigen Berichterstattern, die wir uns auf keine
andre Weise würden schaffen können. Auch sei der Einfluß, den wir da-
mit in den türkischen Ländern erhielten, nicht zu unterschätzen. Die Frage,
was für Folgen das Abkommen für die Türken hat, und ob es den euro-
päischen Mächten bequem ist oder nicht, sei für uns zunächst nicht maß-
gebend. Unfre Politik habe weder das türkische noch das europäische
Interesse zu fördern. Ein europäisches Interesse ist nach Ansicht des
Reichskanzlers eine Fiktion nützlich für alle, welche andre brauchen und
solche finden, die an die Phrase glauben. Es könne uns nützlich sein,
auch die Türken zu Freunden zu haben, soweit es unser Vorteil gestatte.
Die türkische Artillerie sei zu einer Zeit, in welcher wir mit Rußland in
der größten Herzensfreundschaft lebten, von preußischen Offizieren aus-
gebildet worden, und wir hätten dadurch Einfluß und nützliche Beziehungen
in der Türkei erworben. Wenn in Rußland der Chauvinismus, Pan-
slawismus und die antideutschen Elemente uns angreifen sollten, so wäre
die Haltung und die Wehrhaftigkeit der Türkei für uns nicht gleichgültig.
Gefährlich könnte sie uns niemals werden, wohl aber könnten unter
Umständen ihre Feinde auch unfre werden.
Votum in der Sitzung des Staatsministeriums vom
7. August 1880.)
In dem den Herren Staatsministern bekannten Votum des Herrn
Kultusministers wird die Ansicht ausgesprochen, daß mit der Entscheidung
1) Betrifft die Beteiligung des Kaisers an der Feier der Vollendung des Kölner
Doms. Eine Kabinettsorder vom 14. August setzte die Feier auf den 15. Oktober fest.