Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 307
1. Man wünscht in Paris, daß wir unsern Einfluß in Italien geltend
machen, um die Italiener zu einer weniger übergreifenden Haltung in
Tunis zu veranlassen. Die Italiener wollen den Dei absetzen und seinen
ersten Minister, eine Kreatur der italienischen Regierung, an seine Stelle
bringen. Dagegen würde Frankreich mit jedem Mittel einschreiten.
2. Griechenland betreffend stimmt die Instruktion, die Radowitz er-
halten hat, mit der überein, die Frankreich seinem Vertreter gegeben.
Warnung vor übereilten Schritten.
3. In der Dulcignosache hat England angeregt, man solle jetzt die
Flotten zurückziehen, aber nicht ganz, sondern in Häfen im Mittelländischen
Meere verteilen, so daß sie jeden Augenblick bereit wären, eine weitere
Aktion vorzunehmen. Weder Fürst Bismarck noch die französische Re-
gierung haben aber Lust, unter Leitung einer so phantastischen Regierung
wie die englische (Gladstone) zu bleiben, sondern wollen ihre Schiffe
zurückrufen. Fürst Bismarck glaubt, daß auch Oesterreich dieselbe An-
sicht habe.
4. Die französische Regierung hat eine elektrische und Telegraphen=
Ausstellung für nächstes Jahr projektiert. Stephan hat sich zurückhaltend
ausgesprochen. Der Reichskanzler aber, der den Grund der Stephanschen
Verstimmung kennt, hat St. Vallier die Teilnahme Deutschlands zugesagt.
Berlin, 29. November 1880.
Heute um 11 Uhr war ich beim Kaiser. Ich fand ihn zwar erkältet
und heiser, aber sehr frisch und munter. Er fragte mich nach meiner
Gesundheit, wunderte sich, daß ich jetzt nach Paris gehe, war aber ein-
verstanden, als ich ihm die Gründe darlegte. Wir sprachen dann von
meinem Besuch in Friedrichsruh, von seinen Verhandlungen mit Bismarck
über das Handelsministerium, !) über Hatzfeld, Radowitz und andres. Was
Hatzfeld betrifft, so ist der Kaiser so wenig wie Bismarck im klaren, ob
es möglich sein wird, ihn hierher zu nehmen. In der orientalischen Frage
berichtete ich, was mir der Reichskanzler aufgetragen hatte. Doch war
unterdessen eine neue Tatsache eingetreten, die den englischen Vorschlag
unmöglich machte, nämlich die Erklärung Frankreichs, daß es seine Schiffe
zurückziehen werde.
Wir kamen dann auf die Judenfrage. Der Kaiser billigt nicht das
Treiben des Hofpredigers Stöcker, aber er meint, daß die Sache sich im
Sande verlaufen werde, und hält den Spektakel für nützlich, um die Juden
etwas bescheidener zu machen.
Am Schlusse der Unterredung bat ich mir die Erlaubnis aus, wieder
1) Welches Bismarck am 15. September übernommen hatte.