320 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
die Rede gewesen. Bismarck will den preußischen Katholiken Befriedigung
verschaffen, indem er die Bischofssitze wieder besetzt und im allgemeinen
versöhnlich handelt. Mehr will er nicht tun. «
Noch muß ich einige Aeußerungen Bismarcks nachtragen. Bei einer
Unterredung über die deutschen Zustände sagte er, die Deutschen wüßten
mit dem Nürnberger Spielzeug, das er ihnen gegeben, nicht umzugehen,
sie verdürben es. Wenn es noch so fortgehe, würden die verbündeten
Regierungen wieder zum alten Bundestage zurückkehren, nur das mili—
tärische und das Zollbündnis behalten, den Reichstag aber aufgeben.
Dann sagte er: „Ich könnte es ja viel bequemer haben. Ich könnte
„wrangeln“, nichts tun und einen Figuranten von Reichskanzler spielen.
Das wäre sehr viel bequemer. Aber solange ich im Amte bin, leidet das
mein Pflichtgefühl nicht. Auch kann ich es dem alten Herrn nicht antun,
wegzugehen. Solange er lebt, muß ich bei ihm aushalten.“
Paris, 31. Oktober 1881.
Gestern von Berlin zurück. Heute Morgen bei Barthêlemy St. Hilaire,
den ich resigniert fand. Er sagt, er werde demnächst abtreten. Gam-
bettas Ministerium sei unvermeidlich. Er aber könne nicht darin bleiben.
Er erkenne die guten Eigenschaften Gambettas an, sein Talent, seine
geistige Regsamkeit, seinen Patriotismus. Aber Gambetta sei in einer
Sphäre groß geworden, die ihm, St. Hilaire, fremd sei und mit der er
sich nicht verständigen und befreunden könne. Er sei ein Redner, aber
kein Staatsmann, und es fehle ihm an ruhiger Ueberlegung. Man werde
ja sehen, was er tun werde. Ueberall in seiner Auseinandersetzung blickte
die Hoffnung durch, daß Gambetta sich bald abnutzen werde. Diese Hoff-
nung und die meines Erachtens nicht gegründete Erwartung, daß man
dann zu gemäßigteren Männern zurückgreifen werde, läßt Barthélemy
St. Hilaire wünschen, daß Ferry nicht in das Ministerium eintrete. Doch
fürchtet er, und Beust, den ich später sah, glaubt bestimmt, daß Ferry
nicht widerstehen werde, wenn, was zweifelhaft ist, Gambetta ihm ein
Ministerium anbieten wird. Ob Freycinet das Kriegsministerium über-
nehmen wird, ist ihm zweifelhaft. Er erkennt Freycinets Fähigkeiten an,
meint aber, daß dieser zu sehr Mathematiker sei und zu sehr an mathe-
matische Schlußfolgerungen gewöhnt sei, um die Dinge richtig zu be-
urteilen und den tatsächlichen Verhältnissen genügend Rechnung zu tragen.
St. Hilaire glaubt, daß Léon Say trotz seiner früheren Haltung nun doch
als Finanzminister eintreten werde, vorausgesetzt, daß Gambetta ihn dazu
auffordert. Er sei kein konsequenter Mann. Es scheint, daß Tissot das
Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten erhalten soll. St. Hilaire
meint, daß Gambetta gut tun würde, das Justizministerium zu über-