326 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
Schreckensruf zurückgeholt, es gehe zu Ende. Kaum fähig, die Treppe
hinaufzusteigen, eilten wir an ihr Bett. Da lag sie blaß und wie sterbend.
Alles versammelte sich und weinte. Als aber gleich darauf die Aerzte
eintraten, sagten diese, es sei nur eine Ohnmacht. Auch erholte sie sich
bald. Die Nacht verging nun in banger Erwartung. Anscheinend änderte
sich wenig. Die Schwäche nahm aber zu, und kein Stärkungsmittel wirkte.
Einige blieben oben, die andern saßen unten im Salon. Dann ging man
wieder hinauf. Sie lag stets ruhig, hie und da schlummernd. Gegen
Morgen blieb ich oben. Und als der Tag zu grauen anfing und die
Amseln zu singen begannen, sah ich, daß das Ende nicht mehr fern sein
werde. Es war keine Veränderung im Gesicht wahrzunehmen, keine Ver-
zerrung, keine Angst, kein Röcheln. Sie lag ruhig mit offenen Augen.
Dann bekamen diese einen merkwürdigen überirdischen Glanz. Es war
ein Ausdruck der Verklärung, der Freude, der Versöhnung darin, wie ich
ihn nie bei einem Menschen gesehen habe. Thury saß auf dem Bett und
weinte. Da flüsterte sie noch „besser", um ihm Hoffnung zu machen.
Dann verlangte sie ein Schlafmittel, welches ihr die Aerzte aber nicht
geben konnten. Man gab ihr Aether und machte Kampfereinspritzungen.
Das belebte und erfrischte die Sterbende etwas. Helfen konnte ja nichts
mehr. Als der helle Tag da war und die Sonne freundlich hineinblickte,
ward der Atem kürzer und kürzer, und zuletzt hörte er auf. Der Puls
ging bis zuletzt rasch, dann wurden die Hände kalt, das Auge matt, und
um ½9 Uhr hatte das Herz zu schlagen aufgehört.
Als ich sie nach einigen Stunden wieder im Sarge sah, lag sie da
friedlich lächelnd. Heute haben wir sie ins Grab gelegt. Das Grab ist
unter einem Baum neben der Kapelle. Es war ein milder, sonniger
Frühlingstag, an dem wir für immer Abschied nahmen von der über alles
geliebten Tochter.
Man hat in Blumen dich zur Ruh getragen,
Ein Blütenhauch zieht über deine Gruft.
Du warst ja selbst wie Lenz und Frühlingsduft,
Wie Sonnenschein an blütenreichen Tagen.
Und wenn du kamst, zog Freude, zog Behagen
In jedes Herz, wie wenn die Frühlingsluft
Das junge Grün zu neuem Leben ruft
Und sanft im Hain die Nachtigallen schlagen.
Nun ist dahin, was uns so hoch beglückt,
Es brach des Auges strahlend heller Glanz,
Das heitre Lächeln deiner Lippen schwand.
Als sie mit Blumen deinen Sarg geschmückt,
Stand ich gelähmt von Schmerz. Nimm hier den Kranz,
Geliebtes Kind, den ich in Tränen wand!