328 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
Paris, 6. Juli 1882.
Heute früh in der Kirche. Ich ging nach Notre Dame. Dort stand
ein einfacher Sarg mit einem weißen Tuch darüber und einem Immor—
tellenkranz darauf. Zwei Frauen knieten davor. Der Geistliche kam in
die Seitenkapelle daneben und las eine stille Messe. Ich blieb auch da,
die Messe zu hören. Stephaniens Geburtstag!
Varzin, 7. November 1882.
Gestern besuchte ich Friedberg, um mit ihm über die kirchliche Frage
zu sprechen. Er ist mit mir einverstanden, daß man jetzt jede Nach-
giebigkeit vermeiden müsse. Das ist auch die Ansicht Bismarcks. Er will
abwarten, bis man mit Vorschlägen von Rom aus kommt. Friedberg
findet, daß Puttkamer und Goßler Fehler begehen, indem sie die staats-
katholischen Geistlichen übergehen und ultramontane in gute Stellen setzen.
Das ist ein Unsinn. Die Wahl Korums zum Bischof von Trier war ein
Mißgriff. Korum wurde von Manteuffel empfohlen, ist Franzose. Ebenso
meint Friedberg, daß Herzog nicht nach Breslau paßt und daß Gustav
der geeignete Fürstbischof gewesen wäre. Herzog sei ein Mann subalterner
Bildung und Anschauung. Ein Rechnungsrat, der den Kavalier spielen
will und dem es in seiner Stellung schwindlig wird.
Abends fuhr ich zum Kronprinzen nach Potsdam. Er empfing mich
zuerst allein und sprach sehr teilnehmend und lange über Stephanie. Dabei
kam er auf die Gefahr, die sein Haus in Berlin biete. Die Gegend sei
infiziert von Diphtheritis, und er sei voll Angst für den Winter, wenn er
wieder hinziehe. Dann kam die Kronprinzeß. Ebenfalls sehr teilnahms-
voll. Sie denkt in vieler Beziehung wie ich und sagt ihre Auffassung
sehr offen. Nur fürchte ich, daß sie das auch andern sagt, und das ist
nicht gut. Es kann ja sein, daß einem der christliche Trost nicht genügt,
aber es ist besser, dies für sich allein zu behalten und zu verarbeiten.
Platos Dialoge und die antike Tragödie sind ihr tröstlich. Manches war
wahr, was sie sagte. Sie ist aber zu unvorsichtig und vorschnell in ihren
Urteilen über Dinge, die doch ehrwürdig sind.
Wir gingen zum Souper und setzten unser Gespräch fort. Nach Tisch
spielte ein Fräulein Zimmermann Klovier.
Heute, den 7., fuhr ich von Berlin um ½9 Uhr früh über Stettin
u. s. w. nach Varzin und kam hier um 6 Uhr an. Der Reichskanzler mit
weißem Vollbart war munter. Bei Tisch wurde von Weinen und Früchten
gesprochen. Nachher bei der Zigarre im Salon von Elchhirschjagd, von
Prinz August von Preußen, von Friedrich dem Großen u. a., von Politik
nur wenig. Er empfahl gegenüber den Westmächten große Zurückhaltung,
keinen Rat geben und nicht putschen. Das würde Anlaß zur Verstim-