Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Im Reichstage (1870 bis 1874) 33 
Berlin, 8. Dezember 1870. 
Gestern bei der Kronprinzessin um 11½ Uhr. Viktor und ich waren 
zum Luncheon geladen. Die Kronprinzessin empfing uns an der Treppe 
und führte uns in eine Galerie, in welcher Kriegsbilder aufgehängt sind. 
Es war darin so kalt, daß ich mich zusammennehmen mußte, nicht mit 
den Zähnen zu klappern. Dann kam die Prinzeß Alice von Hessen, und 
wir gingen zum Frühstück. Die Konversation drehte sich vorzugsweise um 
die Tagesfrage. Die Kronprinzessin erzählte, daß sie gar nicht wisse, wie 
es mit der Kaiserfrage stehe, und ich konnte ihr versichern, daß die An- 
nahme in Versailles um so weniger zweifelhaft sei, als das Schreiben des 
Königs von Bayern dort vereinbart worden sei. Ueber den Vertrag mit 
Bayern war sie sehr unzufrieden, hörte jedoch meine Verteidigung der 
bayrischen Eigentümlichkeiten und Berechtigungen aufmerksam an. Mir 
schien es, als wenn sie und die Prinzessin Alice diese Bevorzugung andrer 
Dynastien in Deutschland nur ungern anerkännten. Selbst mit Sachsen 
waren sie nicht zufrieden. Sie schwärmen augenscheinlich für ein einiges 
Reich ohne jede Ausnahme. Der föderative Gedanke ist ihnen zuwider. 
Vom König von Bayern war viel die Rede, und die Kronprinzessin emp- 
fahl mir die ältere Tochter des Prinzen Friedrich Karl als eine vor- 
treffliche Frau für den König. Diese Prinzeß kam zufällig nach dem 
Luncheon. Es ist eine hübsche, sanft aussehende fünfzehnjährige 1) Prinzeß. 
Ob sie die nötige Energie haben würde, den König zu leiten, ist mir 
zweifelhaft. 
Abends im Kasino begegnete ich einem preußischen Legationsrat von 
Holstein, ) der mir viel von seinen Jagden in den amerikanischen Prärien 
erzählte. Er meint, es sei in drei Monaten abzumachen. 
Unter den Papieren in dem Landhause Rouhers hat man auch einen 
Bericht von Cadore gefunden, in welchem es heißt, wenn man auf eine 
Kooperation Bayerns in einem Kriege gegen Preußen zählen wolle, so 
müsse man mich vor allem aus dem Ministerium verdrängen. 3) Jedenfalls 
das ehrenvollste Zeugnis meiner politischen Laufbahn. 
1) Die Prinzessin Erisabeth. geboren den 8. Februar 1857, spätere Erbgroß- 
herzogin von Oldenburg, hatte damals das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet. 
2) Vor kurzem als Wirklicher Geheimer Rat und Direktor der politischen Ab- 
teilung des Auswärtigen Amts aus dem Dienst geschieden. 
3) Dieser Vorfall wird in der „Kölnischen Zeitung“ vom 21. Oktober 1900 
näher wie folgt dargestellt: „Damals (1870) wurden auf einem dem französischen 
Minister Rouher, dem sogenannten Vizekaiser, gehörigen Landsitze von deutschen 
Soldaten Schriftstücke gefunden, darunter auch Depeschenbücher des französischen 
Ministeriums des Auswärtigen. Wahrscheinlich waren dieselben Rouher zu seiner 
Unterrichtung für Parlamentsreden oder für andre Zwecke zugesandt und dann 
vergessen worden. Ein solches Depeschenbuch enthielt Berichte über beutsche 
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. II 
 
	        
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