Straßburg (1885 bis 1894) 417
Heute bei Bleichröder, wo ich nichts erfuhr, als daß Bleichröder den
Krieg mit Rußland als gewiß annimmt, wenn der Kaiser Wilhelm stirbt.
Mein Plan ist nun folgender:
Erstens zu Wilmowski, ihm sagen, daß ich die Personalveränderungen
dem Kaiser vorschlagen werde.
Zweitens Audienz beim Kaiser, ihm die Vorschläge machen und bitten,
daß er mir Zeit läßt und daß er die Gesetzesvorlage nicht annehme.
Drittens an Puttkamer im Augenblick vor der Audienz den Brief
wegen Studt abschicken.
Viertens, nach der Audienz zu Puttkamer fahren und ihm sagen, was
ich mit dem Kaiser ausgemacht habe.
Fünftens, den Brief an Bismarck abschicken.
Den 30. Abends erfuhr ich bei der Kaiserin durch den Großherzog,
daß der Kaiser mich noch nicht werde empfangen können, da er zu unwohl
sei. Auch heute ist dies der Fall, ich muß also warten.
Um 12 Uhr war ich bei dem Kronprinzen, der wenig sprach, da er
noch immer heiser ist, der mich aber aufforderte, ihm ausführlich Bericht
abzustatten über meine hiesigen Erlebnisse. Ich tat dies. Er hörte mit
großem Interesse zu, lächelte mitunter oder schüttelte den Kopf und sagte
dann, ob ich wünsche, daß er etwas tue. Ich lehnte dies dankend ab,
behielt mir aber vor, ihn um Hilfe zu rufen, wenn dies nötig sei. Er
sagte: „Ich höre nichts. Ich erfahre alles nur durch die Zeitungen, und
dabei ist der Kaiser neunzig Jahre alt!“
Am 31. früh bei Wilmowski, nachdem ich das Telegramm über das
Extrablatt der „Post“ erhalten hatte. ) Ich sagte ihm, man spreche so
viel von Aenderungen in Elsaß-Lothringen, daß dadurch die Autorität
der Regierung gefährdet werde. Ob der Gesetzentwurf, der jetzt beraten
wird, angenommen werde oder nicht, jedenfalls müsse die Regierung fort-
geführt werden. Das sei aber nur dann möglich, wenn meine Autorität
gegenüber den Beamten und den Einwohnern nicht erschüttert werde.
Käme ich jetzt zurück, um mit denselben Männern fortzuregieren, ohne
Ersatz für Hofmann u. s. w., so werde man mich als einen kranken Mann
betrachten. Wenn ich aber Studts und Backs Ernennung mitbrächte,
Mayr und Ledderhose#) entlassen würden, so würde dies zeigen, daß ich
noch etwas zu sagen habe. An meiner Berechtigung dazu sei nicht zu
zweifeln. Der Reichskanzler habe mir freie Hand gelassen. Puttkamer
1) Ein Extrablatt der „Straßburger Post“ hatte die Aufhebung der Statt-
halterschaft, des Ministeriums und des Landesausschusses als bevorstehend ver-
kündigt.
2) Unterstaatssekretär der Ministerialabteilung für öffentliche Arbeiten.
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. II 27