434 Straßburg (1885 bis 1894)
An denselben.
Straßburg, 17. Mai 1888.
Eurer Exzellenz beehre ich mich im Anschluß an mein Schreiben
vom 10. d. M. ergebenst mitzuteilen, daß der Reichskanzler in einem neuen
Schreiben vom 14. d. M. unter Betonung der Verantwortung, welche er
für die auswärtige Politik des Reichs zu tragen hat, und unter Hinweis
auf das Einverständnis aller größeren, auch der nächstbeteiligten, Bundes-
staaten, die Bitte wiederholt hat, ich möchte den Widerspruch gegen die
Einführung des Paßzwangs in Elsaß-Lothringen aufgeben. Unter diesen
Umständen und da sonst Fürst Bismarck in Aussicht stellt, daß erforder-
lichenfalls der Bundesrat die zur Sicherung der Reichsgrenze notwendigen
Anordnungen zu treffen haben werde, sofern die oberste Landesverwaltung
Anstand nehmen sollte, dieselben nach Maßgabe der in ihrem Gebiete
geltenden Gesetze ausgiebig zu verhängen, muß ich meinen Widerspruch
gegen eine Maßregel, deren Verantwortung ich nicht zu tragen habe, auf-
geben und werde in diesem Sinne an den Reichz-kanzler schreiben.
Da ich es für zweckmäßig halte, über die praktische Durchführung
der Maßregel mündliche Verabredungen in Berlin zu treffen, auch durch
Privatangelegenheiten genötigt bin, anfangs der nächsten Woche nach
Berlin zu kommen, so bitte ich, sofern es möglich ist, die Zustimmung
Seiner Majestät des Kaisers zu meiner Reise einholen zu wollen.
Journal.
Straßburg, 17. Mai 1888.
Die Frage des Paßzwangs hat verschiedene schriftliche Auseinander-
setzungen mit dem Reichskanzler zur Folge gehabt. Ich habe Viktor gefragt,
der mir Holsteins und Friedbergs Rat mitteilte, in der Sache nachzugeben.
Ehe ich dies aber tat, ging ich noch nach Karlsruhe, um mit dem Groß-
herzog Rücksprache zu nehmen. Wir konstatierten, daß nach dem letzten
Schreiben des Fürsten Bismarck vom 14. d. M. nichts übrigbleibt als
die Wahl zwischen Demission und Nachgeben. Der Großherzog hielt die
Gelegenheit zum Abgang nicht für günstig. Zugleich gab er mir einige
Aufschlüsse über den Ernst der Lage. Es scheint in der Tat ganz eigen-
tümlich in der Welt zu stehen. Es hat eine russisch-französische Intrige
bestanden, welche dahin ging oder noch geht, daß Frankreich Spezzia besetzen
sollte. Das würde zum Kriege mit Italien führen, und wir würden unter-
dessen von Rußland beschäftigt werden. Dieser Krieg zwischen Frankreich
und Italien würde so weit ausgedehnt, dem Papste einen Teil der welt-
lichen Herrschaft zurückzugeben. Käme es dann zu einem Kriege der für
den Papst eintretenden französischen Republik, so würde Oesterreich ungern
für Italien und gegen den Papst ins Feld rücken, und auch die deutschen