Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Im Reichstage (I870 bis 1874) 37 
Die eine dieser Tatsachen ist das erwachte Nationalgefühl des deutschen 
Volkes, die andre Tatsache ist die veränderte Machtstellung der deutschen 
Großmächte. Mit der Königswürde hatte Bayern im Jahre 1806 den 
Höhepunkt der Politik erreicht, die ich als die Sonderstellung bezeichnet 
habe und die in der allgemeinen Lage des Deutschen Reiches und in der 
Abwesenheit jedes Nationalgefühls ihre Erklärung, wenn nicht ihre Be— 
rechtigung fand. Der deutsche Reichsverband, seit dem Westfälischen Frieden 
mehr und mehr zerbröckelnd, war endlich ganz zusammengebrochen. Bayern 
hatte wenigstens in formeller Beziehung die volle Souveränität erlangt. 
Allein schon wenige Jahre darauf verzichtete es auf wesentliche Rechte zu- 
gunsten des Deutschen Bundes, und was hier vor allem bestimmend ein- 
gewirkt hat, war die Achtung vor dem erwachten Nationalgefühl des 
deutschen Volkes. Nach der Erhebung der Freiheitskriege war eine Fort- 
setzung der Rheinbundpolitik nicht möglich. Und als im Jahre 1866 
Bayern nach Auflösung des Deutschen Bundes zum zweiten Male jene 
zweifelhafte Freiheit der Entschließung zuteil wurde, beeilte es sich sofort, 
die gewonnene Selbstbestimmung im Allianzvertrage vom 22. August zum 
Opfer zu bringen, augenscheinlich geleitet von dem Gedanken, daß das 
Nationalgefühl des deutschen Volkes eine andre Politik als die, welche im 
Allianzvertrage Ausdruck gefunden hatte, nicht möglich machen werde. 
Auch Sie, meine hohen Herren, standen im Herbste 1867 vor einem 
solchen Wendepunkte der bayrischen Geschichte, als es sich um die Erneu- 
rung des Zollvereins und um Annahme oder Ablehnung der darauf be- 
züglichen Verträge handelte. 
Sie haben sich in Ihrer Moajorität damals nicht dazu entschließen 
können, die Sonderstellung Bayerns in wirtschaftlicher Beziehung zu ver- 
suchen, die folgerichtig zur politischen Isolierung geführt hätte. Sie haben 
nach ernsten Zweifeln Ihren Entschluß gefaßt und Sie haben zugestimmt, 
weil eine undeutsche Politik in einem deutschen Staate nicht mehr möglich 
war. Und als im Sommer dieses Jahres der entscheidende Augenblick 
an Sie herantrat, wo es zum letzten Male möglich schien, den Weg zu 
betreten, der Bayern die Stellung des Jahres 1806 hätte zurückgeben 
können, da haben Sie den Lockungen widerstanden, die eine Partei dem 
bayrischen Volke vormalte, die man mit Recht die vaterlandslose nennt; 
Sie haben die Neutralität zurückgewiesen, die zur französischen Allianz 
geführt haben würde, und haben mit einstimmigem Beschlusse den Weg 
betreten, der für uns nicht allein der Weg der Ehre war, sondern der 
auch für unfre Armee zum Wege der Ehre und unvergänglichen Ruhms 
geworden ist. « 
Damals rief mir ein politischer Gegner zu: „Nun ist das Deutsche 
Reich fertig!“
	        
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