Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

438 Straßburg (1885 bis 1894) 
vornehmen lassen könne. Als ich auf die Stimmung in Elsaß-Lothringen 
zu sprechen kam und bemerkte, daß die Elsaß-Lothringer anfingen zu finden, 
daß sie für die Unannehmlichkeiten, die ich ihnen bereite, doch ein etwas 
großes Gehalt zahlen, lachte der Fürst und sagte, der Herzog von Alba 
habe in den Niederlanden auch viel Geld bezogen. Was den Paßzwang 
betrifft, so meinte er, das sei nur ein Mittel, den Franzosen zu zeigen, 
daß ihr Geschrei uns nicht erschrecke und wir sie nicht zu fürchten haben. 
Dann kam die Rede auf Tisza und seine Rede, 0) die er sehr lobte. Es 
sei gut, daß er das gesagt habe, da die Oesterreicher sich immer scheuten, 
gegen Frankreich aufzutreten. Im ganzen fand ich seine Stimmung 
ziemlich mild. 
Den Kaiser hat der Reichskanzler ziemlich wohl gefunden. Er sagt, 
Bergmann habe vorausgesagt, diese Besserung werde im Mai eintreten und 
längstens bis August dauern. Schweninger, der mit uns aß, meinte, das 
Ende werde dann um so schmerzvoller sein. Denn es sei zu befürchten, 
daß dann die Speiseröhre angegriffen werde. 
Potsdam, 22. Juni 1888. 
Nachdem ich gestern telegraphisch benachrichtigt war, daß ich heute 
um 12 Uhr von dem Kaiser und der Kaiserin empfangen werden würde, 
fuhr ich um 11 Uhr hierher und wurde durch Hofequipage nach dem 
Marmorpalais gefahren. Dort empfing mich Hofmarschall von Liebenau 
und geleitete mich in einen Parterresalon, wo ich wartete. Bald kam der 
Kaiser und lud mich ein, in einem daneben befindlichen Salon mich zu 
ihm zu setzen. Ich fand ihn unbefangen, wohlwollend und freundlich. 
Ich fragte ihn zunächst nach der Proklamation und ob er eine solche 
an die Elsaß-Lothringer richten wolle, bemerkte aber gleich, daß ich dieselbe 
nur dann für nützlich hielte, wenn man gleichzeitig mildere Maßregeln 
treffen wollte. Eine Proklamation müsse doch immer etwas Wohlwollendes 
enthalten. Wenn dann aber keine wohlwollenden Entschließungen folgten, 
so wäre die Proklamation damit im Widerspruch und unterbliebe besser. 
Ich bemerkte, daß sich der Kaiser darüber kein Urteil gebildet hatte und 
sich nicht traute, eine von der des Reichskanzlers abweichende Ansicht zu 
äußern. Nach einigem Zögern meinte er, daß er ja schon eine Prokla- 
mation erlassen habe, welche die Elsaß-Lothringer auf sich beziehen könnten, 
und außerdem werde er eine Thronrede an den Reichstag halten, in welchem 
  
1) Am 26. Mai im ungarischen Abgeordnetenhause. Bei Gelegenheit einer 
Interpellation über die Nichtbeteiligung an der Pariser Weltausstellung hatte Tisza 
die Lage als ernst bezeichnet und gesagt, niemand könne dafür stehen, daß die un- 
garischen Farben in Paris gebührend behandelt würden.
	        
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