Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

38 Im Reichstage (I870 bis 1874 
Und nicht deshalb ist jene Voraussagung Wahrheit geworden, weil, 
wie ein Herr Vorredner gesagt hat, die Waffenbrüderschaft auch mit Not- 
wendigkeit die Unterordnung unter den mächtigeren Alliierten zur Folge 
haben mußte, sondern deswegen ist jenes Wort zur Wahrheit geworden, 
weil das deutsche Nationalgefühl in diesem Kriege eine Macht geworden 
ist und eine Gewalt erlangt hat, vor welcher sich auch die Vorliebe für 
altgewohnte Verhältnisse beugen muß und vor welcher die Antipathie der 
deutschen Stämme gegeneinander verschwunden ist. 
Dieses Selbstbewußtsein der Nation ist aber keine bloße Abstraktion 
geblieben; es hat eine tatsächliche Grundlage gewonnen in der empor- 
steigenden Macht des Hauses Hohenzollern. Wie die Machtstellung Bayerns 
im Deutschen Reiche hervorgewachsen ist aus dem Zerfalle der Reichsmacht, 
so war die Stellung Bayerns im Deutschen Bunde das Ergebnis des 
Dualismus; in der Rivalität der beiden deutschen Großmächte lag das 
Lebensprinzip der bayrischen Selbständigkeit während der letzten fünfzig 
Jahre. Als nun im Jahre 1866 der Erfolg der preußischen Waffen den 
Bund gesprengt und Oesterreich aus Deutschland ausgeschlossen hatte, 
konnte das Uebergewicht Preußens in Deutschland nicht länger zweifel- 
haft sein. 
Für Bayern blieb seit jener Zeit nur die Wahl, sich entweder den 
Bemühungen derjenigen anzuschließen, welche die Ergebnisse des Jahres 
1866 durch erneute Kämpfe vernichten wollten, oder zu versuchen, eine 
den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung tragende, für die bayrische Selb- 
ständigkeit möglichst günstige Stellung zu erlangen. 
Sie wissen, meine hohen Herren, daß ich mich der letzteren Meinung 
angeschlossen habe, und Sie kennen die Bemühungen, welche die bayrische 
Regierung während meiner Amtsführung aufgewendet hat, um zu diesem 
Ziele zu gelangen. Wenn diese Bemühungen ohne Erfolg geblieben sind, 
so kann ich meine politischen Gegner des In= und Auslandes nicht von 
aller Schuld freisprechen. 
Das geringe Maß von Opfern, mit welchen damals noch die Ver- 
bindung mit dem Norden von Deutschland zu erreichen gewesen wäre, er- 
schien meinen politischen Gegnern des Inlandes als übergroße Beschränkung 
der Selbständigkeit; das Ausland, dessen Einfluß sich geltend machte, er- 
blickte darin eine Verletzung des Prager Friedens. 
Das Losungswort jener Zeit war Aufrechterhaltung des Status quo, 
wohl nicht ohne die geheime Hoffnung auf Wiederherstellung des Status 
duo ante, d. h. auf Wiederherstellung eines dem ehemaligen Deutschen Bunde 
ähnlichen Zustandes, unter gleichzeitiger Niederwerfung Preußens. 
Diese Pläne und Hoffnungen hat die von den Gegnern unterschätzte 
Macht des preußischen Volkes und Heeres, hat die deutsche Gesinnung
	        
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