Straßburg (1885 bis 1894) 449
schen 1) Sache durchleben müsse. Unter den Geladenen war auch Minister
Bötticher, der sehr vernünftig über Elsaß-Lothringen sprach und sich ent-
schieden gegen kleinliche polizeiliche Vexationen äußerte. Wie mir die Groß-
herzogin sagte, tadelt er die neuesten Veröffentlichungen. :) Es ist überhaupt
niemand, der sie nicht tadelt. Nach Tisch sprach ich mit dem Großherzog
und Miquel über den Kanal. Ersterer kam wieder auf das Projekt der Rhein-
korrektion zurück, die er nach einem Bericht von Honsell für möglich hält.
Um 8 Uhr war ich wieder zum Souper bei den regierenden Majestäten
geladen. Ich wurde in die inneren Gemächer geführt, worauf ich mit Kaiser
und Kaiserin hinausging. Beim Souper saß ich zwischen der Kaiserin und
Gräfin Keller. Nach Tisch ging die Kaiserin mit den Damen in einen andern
Salon. Wir blieben stehen, und es entspann sich eine einstündige Konversation
zwischen dem Kaiser, seinem ehemaligen Lehrer Hinzpeter und mir. Erst
wurde über die Gymnasien diskutiert, wobei sich der Kaiser gegen die
allzu großen Anforderungen auf den Gymnasien erklärte, während wir
diese verteidigten, indem wir geltend machten, daß nur große Anforde-
rungen den Zudrang zu den Gymnasien und das gelehrte Proletariat ver-
hindern könnten. Dann kamen wir auf den Dom. Der Kaiser ließ Pläne
und Zeichnungen holen und erklärte sie uns. Danach wird der Dom
prachtvoll und stilgerecht gebaut werden. Ich brachte dann die Um-
formung der Linden zur Sprache, wobei ich von Hinzpeter unterstützt
wurde. Dann Kaiserpalast in Straßburg und Merkwürdigkeiten von
Elsaß-Lothringen, für welches Land der Kaiser sehr viel Interesse zeigte.
Es sei ein wunderschönes Land, und er begreife, daß die Franzosen es
ungern verloren hätten. Von Frankreich sprechend, meinte der Kaiser,
daß Boulanger gewiß reüssieren werde. Er sehe schon kommen, daß
Boulanger als Kaiser Ernest seinen Besuch in Berlin machen werde.
Dann wolle er ihm Radziwill und Lehndorff beigeben. In der ganzen
Konversation, die nie stockte, freute ich mich über die frische, lebendige Art
des Kaisers und wurde in allem lebhaft an seinen Großvater, den Prinzen
Albert, erinnert.
Berlin, 25. Januar 1889.
Gestern bei Lindau und Holstein. Als ich zurückging, begegnete mir
der Reichskanzler, der mich einlud, mit ihm nach Hause zu kommen. Wir
1) Der wegen seiner Veröffentlichungen aus dem Tagebuche des Kaisers
Friedrich in Untersuchungshaft genommene Professor Geffcken war am 4. Januar
durch Beschluß des Reichsgerichts außer Verfolgung gesetzt worden.
2) Artikel der „Kölnischen Zeitung“ vom 16. Dezember 1888 gegen Sir Robert
Morier, englischen Botschafter in Petersburg, und die sich daran anschließenden
Publikationen Londoner Zeitungen über Korrespondenzen zwischen Morier und
Herbert Bismarck.
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. II 29