456 Straßburg (1885 bis 1894)
Journal.
Baden, 24. Juni 1889.
Gestern Nachmittag kam ich mit Alexander und Thaden hier an.
Wir waren zum Diner bei der Kaiserin Augusta geladen. Auf dem
Bahnhofe erwartete mich ein Diener, der mich zum Großherzoge um
3 Uhr, zur Kaiserin um 4½ Uhr bestellte. Ich fuhr also gleich aufs
Schloß. Der Großherzog war beunruhigt durch die politische Lage und
erbittert über die Zumutung Bismarcks, die Grenze gegen den Kanton
Aargau zu sperren. 1) Wenn man das wolle, so solle man eine kaiserliche
Verordnung erlassen, dann werde sich Baden fügen. Aus eigner Initiative
werde er nicht vorgehen. Ueberhaupt tadelt er, daß man die Sache in
Berlin so weit getrieben habe. Die Schweiz habe Vorschläge gemacht, die
man habe annehmen können: Anstellung eines Staatsanwalts für den
Bund, Reorganisation der Polizei u. a. In Berlin habe man aber auf
der Rücknahme der Ausweisung Wohlgemuths und auf Schuldbekenntnis
bestanden. Selbst Herbert Bismarck sage, er verstehe seinen Vater nicht
mehr, und viele Leute fingen an zu glauben, daß er nicht mehr richtig im
Kopfe sei. Die Schweizer Sache sieht der Großherzog vom militärischen
Standpunkt als sehr geföhrlich an. Alle unfre Kriegspläne basierten auf
der wohlwollenden Neutralität der Schweiz. Ein Zerwürfnis mit der
Schweiz, welche diese am Ende in die Arme Frankreichs treiben könne,
stelle unfre linke Flanke bloß. Die ganze Kampagne Bismarcks habe die
Schweiz tief verletzt und Mißtrauen gegen Bismarck erweckt, das nicht
mehr zu beseitigen sei. Nur der Kaiser werde Vertrauen gewinnen, wenn
er jetzt ein Machtwort einlege und den Streit beendige. Ob das nicht
zum Rücktritt Bismarcks führen könne? Das schien dem Großherzog zwar
bedenklich, aber doch kein ausschlaggebender Grund, um in dieser Sache
Bismarck zu folgen. Er wird in diesem Sinne in Sigmaringen mit dem
Kaiser sprechen. Was dem Großherzog auch bedenklich vorkommt, ist der
von Bismarck ausgesprochene Gedanke, ob es nicht besser sei, wenn Oester-
reich allein angriffsweise gegen Rußland vorgehe, und zwar aus eignem
Entschlusse, so daß dann der Casus foederis nicht gegeben sei und Deutsch-
land abseits stehen bleiben könne. Ich erinnerte daran, daß Bismarck
diese Politik stets verworfen habe. Der Großherzog meinte aber, Bismarck
lasse sich jetzt nur von egoistischen Motiven leiten und er wolle keinen
Krieg mehr. Deshalb mache er den Russen allerlei Avancen, lanciere
mitunter Artikel gegen Oesterreich und verwirre die Geister.
1) Infolge der Differenzen mit der Schweiz nach der Verhaftung des Polizei-
kommissars Wohlgemuth in Rheinfelden am 21. April.