458 Straßburg (1885 bis 1894)
Straßburg, 24. August 1889.
Von Metz fuhr ich gestern Abend nach 12 Uhr weg.1) Auf dem
Bahnhof schlug mir der Großherzog vor, mit ihm zu fahren, was ich
annahm. Er hatte mir allerlei zu erzählen. Zuerst kam er wieder auf
das schon früher Erwähnte, daß Fürst Bismarck eigentlich wünsche oder
bis auf die neueste Zeit gewünscht habe, die Allianz mit Oesterreich auf-
zulösen, sich ganz an Rußland anzuschließen und Oesterreich seinem Schicksal
zu überlassen. Da er aber gesehen habe, daß Rußland alles akzeptiere
und nichts leiste und so feindlich wie zuvor verbleibe, so habe er seine
Politik wieder geändert, halte wieder an Oesterreich und sehe den Krieg,
den er bisher um jeden Preis vermeiden wollte, nun doch als unvermeidlich
an. Diese Schwankungen des Kanzlers hätten den Kaiser stutzig gemacht,
dagegen sein eignes Selbstgefühl gehoben. Dazu merke der Kaiser, daß
man ihm hie und da etwas verschweige, und werde mißtrauisch. Es
hat schon einen Zusammenstoß zwischen dem Kaiser und Kanzler gegeben,
und der Großherzog meint, man müsse die Eventualität ins Auge fassen,
daß der Kanzler einmal gehe. Was aber dann? Der Kaiser denke sich
wahrscheinlich, daß er selbst die auswärtige Politik führen könne, das sei
aber sehr gefährlich.
Bezüglich der Jagdkarten ist der Großherzog der Meinung, daß man
die kleine Konzession, den hier lebenden Franzosen die Jagdkarten zu er-
teilen, wohl machen könne. Er wollte anfangs, man solle nach Friedrichs-
ruh telegraphieren und die Ansicht des Reichskanzlers einholen. Da aber
Lucanus fürchtete, man werde sagen, daß der Kaiser zu dieser Konzession
gedrängt, daß sie ihm aufgedrungen sei, so mußte ich dies anerkennen und
ließ die Sache ruhen, gab aber Lucanus ein kurzes Promemoria mit, mit
dem er die Sache beim Reichskanzler in Anregung bringen kann. Ueber
unfre russische Sache war der Kaiser zurückhaltend. Waldersee, dem-
gegenüber ich erklärte, daß wir die Güter verkaufen müßten, sagte, wir
sollten uns nicht übereilen. In zwei Jahren könne vieles passieren. Mir
schien, als wolle er auf einen bevorstehenden Krieg mit Rußland hindeuten.
Straßburg, 26. Oktober 1889.
Gestern fuhr ich nach Baden, wohin ich zur Kaiserin zum Essen ge-
laden war. Ich fand sie wohler als sonst, ihre Stimme heller und ver-
ständlicher. Sie sagte mir allerlei Schmeichelhaftes und meinte, meine
Stellung im allgemeinen „wachse“". Ueber die Politik äußerte sie sich wie
immer sehr vorsichtig, mißbilligt aber doch das gar zu viele Herumreisen
1) Nach der Grundsteinlegung für das Denkmal Kaiser Wilhelms I., welcher
der Kaiser und der Großherzog von Baden beiwohnten.