Straßburg (1885 bis 1894) 461
zusetzen, daß Rußland die Prinzipien seiner inneren Verwaltung ändere.“
Wir würden Krieg mit Rußland und Frankreich zugleich führen und dann
suchen müssen, wenn wir einige Vorteile erlangt haben, uns mit Rußland
bald auseinanderzusetzen. Käme es aber so weit, daß wir Rußland derart
besiegten, daß es zu einer Wiederherstellung des Königreichs Polen kommen
könnte, so wäre uns ja immer noch die Möglichkeit gegeben, uns in in-
tegrum restituieren zu lassen und die jetzt gezwungenen Verkäufe rück-
gängig zu machen. Das sei aber alles in weiter Ferne. Ich erwähnte
dann den Ausspruch Waldersees, wir möchten uns nicht beeilen, man
könne nicht wissen, was in zwei Jahren geschehe. Darauf erwiderte
Bismarck, Waldersee sei ein konfuser Politiker, auf den nichts zu geben
sei. Er wolle den Krieg, weil er fühle, daß er zu alt werde, wenn der
Friede lange daure. Seine Aeußerung sei ohne Wert. Ueberhaupt sei
es töricht, zu glauben, daß Waldersee Reichskanzler werden könne. Auch
als Generalstabschef sei er ungenügend, und Moltke habe ihn nur deshalb
Caprivi und Häseler vorgezogen, weil er mit ihm machen könne, was er
wolle. Das sei ein schlechter Dienst, den der alte Moltke der Armee ge-
leistet habe. Verdy hält er für einen guten Strategen. Zwischen Verdy
und Waldersee bestehe eine gegenseitige Versicherung, Verdy arbeite und
Waldersee erhalte ihn beim Kaiser. Dann beklagte er sich über Verdy,
der kein Jurist sei und im Bundesrate unmögliche Vorschläge mache.
Berlin, 15. Dezember 1889.
Gestern früh schickte mir Bismarck eine Depesche von Schweinitz, aus
der hervorgeht, daß die russische Regierung mit der Anfertigung neuer
Gewehre sehr langsam vorgeht und erst in drei Jahren fertig sein wird.
Der Ausbau von Eisenbahnen wird auch verschoben, so daß Bismarck
daraus schließt, daß die Russen vor fünf Jahren keinen Krieg beginnen
können. „Was uns betrifft,“ so sagte Bismarck, als er zu meinem Früh-
stück kam, „so werden wir keinen Krieg, weder mit Rußland noch mit
Frankreich, anfangen.“ Jedenfalls würde ein Krieg mit beiden Ländern
zugleich ausbrechen, und dann sei zweifelhaft, ob wir so siegreich sein
würden, daß wir Rußland in unfrer Angelegenheit Bedingungen vor-
schreiben könnten. Solange der Kaiser lebe, werde es nicht anders
werden. Wir würden nur dann gezwungen sein, loszuschlagen, wenn der
Bestand der österreichischen Monarchie gefährdet wäre. Bismarck hat dem
Kaiser von Oesterreich geraten, sich ruhig zu verhalten, auch wenn, was
wahrscheinlich sei, Rußland sich am Eingang der Dardanellen festsetze und
befestige. Dann würden England und vielleicht auch Frankreich ihre
Interessen für verletzt und bedroht ansehen, und dann habe Oesterreich
natürliche Verbündete.