Straßburg (1885 bis 1894) 487
verteidigt hätten, so sei es Pflicht der übrigen Minister gewesen, entschieden
dagegen aufzutreten. Das hätten sie nicht getan. Die Schuld treffe also
Migquel und Herrfurth. Alvensleben sagte darauf nichts und empfahl sich
bald. Bei Marschall, den ich Nachmittags besuchte, fand ich dieselbe An-
sicht, die ich habe. Er beklagte die Vorlage des Schulgesetzes, das man
nicht mit dem Zentrum und den Konservativen zustande bringen durfte.
Er tadelte, daß Caprivi die Sache nicht durch Zedlitz allein hätte aus-
fechten lassen. Der ritterliche Edelmut sei hier nicht am Platze gewesen.
Straßburg, 26. Mai 1892.
Heute war Bulach bei mir. Ueber die Verwaltungsorganisations-
gesetze sagte er, daß es ein Fehler gewesen sei, gleich so viele neue Kreis-
direktionen in Aussicht zu nehmen, das habe die Leute erschreckt. Auch
hätte man die Abschaffung der Bezirkspräsidenten entschieden betonen müssen.
Mit der französischen Departementswirtschaft müsse gebrochen werden.
Freilich seien Köchlin und Schlumberger dagegen, weil sie ihren Einfluß
zu verlieren fürchteten. Aber es gebe im Lande Leute genug, die zur
Selbstverwaltung geeignet seien und sich gern daran beteiligten. Man
solle einmal anfangen, eine modifizierte Gemeindeordnung vorzulegen, das
andre werde dann nachkommen, eventuell durch den Reichstag zu erlangen
sein. Bulach beklagt die französischen Tendenzen des elsässischen Klerus.
Berlin, 22. Juni 1892.
Gestern Abend 6 Uhr mit Viktor nach Potsdam. Auf der Wildpark-
station war großer Zusammenfluß von höchsten Herrschaften, die zum
Diner kamen. Vor dem Diner erschien der Kaiser mit der Königin von
Italien, und da ich ziemlich weit vorn stand, wurde ich angeredet und
der Kaiser stellte mich vor. Die Königin erinnerte daran, daß wir uns
schon in München gesehen hätten. Der König in Husarenuniform folgte
mit der Kaiserin. Er ist nicht groß, mit großem grauen Schnurrbart,
hält sich sehr gerade und begrüßt die ihm vorgestellten Leute mit höflichem
Räuspern.
Ich saß den höchsten Herrschaften gegenüber, konnte also die Rede
des Kaisers und die Antwort des Königs von Italien sehr gut hören.
Der Kaiser sprach gut und taktvoll. Er hatte die Rede vor sich liegen
und sah hie und da hinunter. Der König nahm sein Papier in die Hand.
Beide Reden machten einen guten Eindruck. Nach Tisch war Cercle wie
üblich. Der Kaiser kam sehr freundlich auf mich zu und fragte: „Nun,
wie geht's, Alba?“ Dann sprachen wir von Urville und von seinem
Besuch und meiner Reise und dem guten Empfang, den er haben werde.
Ich sagte dann, um die Konversation auf die Tagesfrage zu bringen: