Straßburg (1885 bis 1894) 501
Gotha, 26. Mai 1893.
Das Schrippenfest, das Montag nach Pfingsten stattfand, war ganz
interessant. Der Feldgottesdienst fand im Garten neben dem Neuen
Palais unter den Bäumen statt. Nach demselben kam der Kaiser auf
mich zu und unterhielt sich lange mit mir, was mir, da eine große Zahl
von „Spitzen“ zusah, sehr angenehm war. Nach dem Vorbeimarsch des
Lehrbataillons rief mich der Kaiser zu sich, um mir die Prinzen zu zeigen.
So war ich denn von der vollständigsten Gnadensonne beschienen.
Von meinem Vorschlag wollen die Herren nichts wissen. Lucanus
äußerte sich sehr abfällig. Caprivi fürchtet, daß ein solcher kleiner Staats-
streich auf das Zentrum und die Freisinnigen einen ungünstigen Eindruck
machen und dadurch die Wahlen verderben würde, während vernünftige,
ruhige Leute der Meinung sind, daß er den besten Eindruck machen werde.
Berlin, 8. Juli 1893.
Seit dem 3. Juli hier. Frühstück bei Hof. Vorher war ich im
Reichstag, wo ich, wie auch gestern, den Debatten über die Militärvorlage
angewohnt habe. Gestern war ich bei Miquel, den die Konservativen zum
Reichskanzler haben wollen. Miquel hat immer neue Ideen. Jetzt will
er auf fünf Jahre die Franckensteinsche Klausel suspendieren, die Matri-
kularumlagen auf fünf Jahre festsetzen, die Ueberweisungen ebenfalls.
Die Ueberschüsse bleiben dem Reich. Kommt weniger heraus, als voraus-
bestimmt war, so muß eine Reichssteuer aushelfen.
Bötticher, der mich im Reichstage aufsuchte, teilte mir mit, daß die
Sozialdemokraten den Fall Feichter zur Sprache bringen wollen. ) Mon-
tag soll die Anfrage gestellt werden. Ich war mit Bötticher einverstanden,
daß es besser ist, wenn die Reichsregierung sich nicht darauf beziehe, daß
dies Sache der Landesregierung sei, vielmehr auf die Sache eingehe und
Feichters Erklärung mitteile. Er war der Meinung, es sei zweckmäßig,
Köller für Montag zu zitieren. Ich telegraphierte deshalb an Puttkamer.
Inzwischen ließ mir Bötticher sagen, daß die Interpellation erst am
Donnerstag stattfinden werde und daß er dies an Puttkamer mit-
geteilt habe.
9. Juli.
Heute kam Miquel zu mir. Er bedauert, daß der Kaiser sich mit
Bismarck nicht versöhne, und meint, Caprivi müsse d dies dem Kaiser raten.
h Der Polizeipräsident Feichter in Straßburg hatte a am 29. Juni eine Depu-
tation von Katholiken, welche wegen der von der Regierung verfügten Auflösung
des katholischen Fedeltà-Vereins Vorstellungen machte, empfangen und sich dabei
angeblich in einer für den elsässischen Klerus beleidigenden Weise über dessen Ver-
halten bei den Reichstagswahlen ausgesprochen.