Straßburg (1885 bis 1894) 503
Den 4.
Heute auf der Parade benutzte ich ein längeres Zusammensein mit
dem Großherzog, um ihn zu sondieren, wie es zwischen dem Kaiser und
dem Kanzler stehe. Der Großherzog sagte, die Verstimmung wegen der
württembergischen Manöver (wo die Militärs gehetzt hatten) sei vorüber.
Ich warnte den Großherzog vor einem abermaligen Kanzlerwechsel und
fand bei ihm Zustimmung. Nach der Parade war Frühstück beim Kaiser
mit den höchsten Herrschaften, wo ich nach Tisch Gelegenheit fand, mit
dem Reichskanzler über mein Gespräch mit dem Großherzog zu sprechen.
Er ist nach wie vor entschlossen, zu bleiben, und dankte mir, daß ich mit
dem Großherzog gesprochen. Abends war Paradediner, wo der Kaiser
auf das sechzehnte Korps eine Rede hielt, auf die Haeseler erwiderte.
Dann Zapfenstreich, dem wir aus einem Pavillon zuhörten, den die Stadt
dazu gebaut hatte.
Am 5. begannen die Manöver. Ich hatte zu tun und fuhr nicht
hinaus und machte Nachmittags Besuche. Um 7 Uhr war das große
Zivildiner auch in den Sälen des Militärkasinos. Der Kaiser hielt eine
Ansprache an die Lothringer, auf die ich antwortete. Nach dem Diner
kamen einige Herren, darunter Lucanus, und die Straßburger „Minister“
sowie Bulach, Schlumberger und andre zu mir, wo bis ½12 Uhr Bier
getrunken wurde.
Den 6.
Vormittags Besichtigung der Restaurationspläne des Metzer Doms.
Nachmittags kam Caprivi zu mir.
Wir sprachen von dem Preßgesetz und dessen Einführung in Elsaß=
Lothringen. Caprivi ist dagegen und rät, keine der der elsaß-lothringischen
Regierung zustehenden Machtvollkommenheiten aufzugeben. Was ins-
besondere das Reichspreßgesetz betreffe, so sei dies schlecht und müßte
geändert werden, wenn man den Reichstag dazu bestimmen könne. Dies
stehe freilich noch in weitem Feld.
Ueber die Ernennung von Posadowsky erzählte Caprivi folgendes:
Während der Reichstagssession sei der Kaiser einmal in den Reichstag
gekommen, habe ihn herausrufen lassen und habe sich abfällig über den
Kriegsminister geäußert. Caprivi habe aber gesagt: „Kaltenborn kann
nicht entlassen werden, ehe die Ausführungsverordnungen zum neuen
Militärgesetz gemacht seien.“ Zugleich meldete er dem Kaiser, daß Malt-
zahn abgehen wolle, und nannte dem Kaiser drei Namen für die Staats-
sekretärstelle, erstens Huene, der aber unmöglich sei, dann Schraut, der
keine Garantie dafür biete, daß er nicht der Agent von Migquel werde,
da es ihm an Selbständigkeit des Charakters fehle, und Aschenborn, der
geschickt, aber sehr unbeliebt im Reichstage sei. Da habe denn der