512 Straßburg (1885 bis 1894)
Berlin, 17. Juni 1894.
Der Reichskanzler, den ich gestern besuchte, hält die katholische Fakul-
tät für vorteilhaft, während Lucanus mir heute mitgeteilt hat, daß der
Kaiser noch nichts davon wissen wolle. Er fürchtet die Konflikte mit der
Kurie, und Lucanus hob dabei hervor, daß die auf der katholischen Uni-
versität Breslau gebildeten Pfarrer in Oberschlesien nicht besser seien als
die in den Seminarien erzogenen Geistlichen. Lucanus rät, langsam vor-
zugehen. Auch sei das Zentrum dagegen. Er werde die Sache noch einige
Monate liegen lassen und dann versuchen, ob der Kaiser sich dazu ent-
schlösse. Wir könnten ja die Sache unterdessen studieren!
Rede bei einem Diner des Rektors der Universität, Professors
Windelband, am 25. Juni 1894.
Meine Herren! Die freundlichen Worte Seiner Magnifizenz, für die
ich meinen aufrichtigen Dank sage, geben mir Gelegenheit, nicht nur den
Rektor Magnifikus, sondern auch den Philosophen zu begrüßen. Es ist
das erstemal, seit ich hier in Straßburg bin, daß ein Philosoph von Fach
das Rektorat führt. Und wenn ich diese Tatsache mit besonderem Inter-
esse hervorhebe, so wollen Sie die Erklärung dafür in dem Umstande
finden, daß mir das philosophische Studium nie ganz fremd geworden ist
und daß meine Jugend in die Zeit fiel, wo die Philosophie den Mittel-
punkt des akademischen Studiums bildete, von dem aus, wie wir meinten,
die Lichtstrahlen ausgingen, welche die andern Disziplinen zu erleuchten
berufen seien. Das hat sich nun geändert. Es scheint mir, daß sich die
studierende Jugend mehr und mehr von der Philosophie abwendet, sei es,
daß sie mit Virchow erkennt, daß wir aus dem philosophischen Zeitalter
in das naturwissenschaftliche übergegangen sind, sei es, daß sie abgeschreckt
wird durch die verneinenden und zerstörenden Tendenzen der neuesten
Philosophen, deren Studium in uns fast den Wunsch rege machen könnte,
er möge Dr. Falb recht haben, der prophezeit, daß im Jahre 1899 ein
Komet die Erde zerstören werde, wo denn alles menschliche Gewürm, in-
klusive Uebermenschen und Herdentiere, weggefegt werden würde.
Unser verehrter Rektor gehört solcher Richtung nicht an. Ihm sind
die „veritates acternae“ kein überwundener Standpunkt. Und wenn er
auch ein Mann seiner Zeit ist, so weiß er doch in der Jugend die ideale
Weltanschauung lebendig zu erhalten, ohne die das Leben keinen Wert
hat. Und dazu wünsche ich ihm und uns und der Universität Glück und
hoffe, daß er uns trotz aller Gerüchte über auswärtige Berufungen noch
lange erhalten bleiben möge.