Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

520 Die Reichskanzlerschaft und das Lebensende (1894 bis 1901) 
Am Sonntag muß ich schon wieder weg, will einen Tag in Werkie 
bleiben und dann nach Petersburg fahren, um mich dem Kaiser vorzustellen. 
Es war nicht zu umgehen. 
Journal. 
Petersburg, 10. September 1895. 
Dienstag um 11½ Uhr kamen wir in Petersburg an, wo mich 
Radolin mit der ganzen Botschaft empfing. Wir frühstückten um 1 Uhr. 
Dann machte ich meinen Besuch bei Lobanow. 
Petersburg, 11. September. 
Durch Schreiben des Oberzeremonienmeisters wurde mir mitgeteilt, 
daß der Kaiser und die Kaiserin mich um 12¼ in Peterhof empfangen 
würden. Ich fuhr deshalb, begleitet von Herrn von Romberg (von der 
Botschaft), um 9½ zur Bahn, kam um 11¼ in Peterhof an, wo mich ein 
Hofwagen erwartete, der mich nach einem Hause im Park von Peterhof 
brachte, wo ich die Audienzstunde abwartete. Zur bestimmten Zeit fuhr 
ich nach der kleinen Villa, die das Kaiserpaar bewohnt. Benrckendorff 
empfing mich, und nach einigen Minuten wurde ich zum Kaiser geführt. 
Er empfing mich sehr freundlich, lud mich ein, mich an seinen Schreibtisch 
zu setzen. Ich richtete Grüße des Kaisers aus. 
Er fragte mich dann, wie lange ich in Straßburg gewesen sei, begriff, 
als ich ihm sagte, wie ungern ich nach Berlin gegangen sei u. s. w. 
Dann, auf seine Arbeiten übergehend, meinte er, es sei jetzt etwas 
Ruhe eingetreten, da alles in Urlaub gehe. Auch Lobanow werde ins 
Ausland gehen und sich in Berlin beim Kaiser melden. Dann erkundigte 
er sich nach unsern afrikanischen Kolonien und schien sich dafür als Geo- 
graph zu interessieren. 
Was die ostasiatische Frage betrifft, so sprach der Kaiser seine Be- 
friedigung aus, daß wir mitgegangen seien, und war erfreut, als ich sagte, 
daß wir dabei von dem Wunsche geleitet seien, unfre guten Beziehungen 
zu Rußland zu manifestieren. Der Kaiser meinte, es hätten einige Meinungs- 
verschiedenheiten stattgefunden, die aufgeklärt seien, und die Verhandlungen 
in Tokio würden das übrige tun. „Entre nous,“ sagte er, „est-ce qdue 
ce est pas Monsieur de Marschall qui a été un peu cause de ces 
différends?“" Ich protestierte und sagte, daß Marschall das täte, was 
ihm befohlen werde, und daß wir nichts täten, ohne die Befehle des Kaisers 
eingeholt zu haben. Vielleicht hätten Meinungsverschiedenheiten zu Miß- 
verständnissen Anlaß gegeben. Dann sagte der Kaiser: „Au fond j'ai 
beaucoup de sympathie pour les Japonais malgré la blessure dont je 
porte la marque,“ und dabei zeigte er auf die Stirn, wo eine kleine
	        
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