Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Die Reichskanzlerschaft und das Lebensende (1894 bis 1901) 523 
nur ahnen würde, wie er sich schadet durch Festhalten des ent- 
gegengesetzten Standpunktes! Ich schreibe die wuchernden Majestäts- 
beleidigungen zumeist diesem Widerstande zu. Wenn das Gericht (wie 
dies ja bei uns geschieht) die Befugnis hat, die Oeffentlichkeit auszuschließen, 
sooft es durch dieselbe die Disziplin gefährdet glaubt, kann ja dieselbe 
nicht gefährlich sein. Ich wiederhole, mit noch so vielen Auflösungen 
würde man keinen Reichstag zusammenbringen, der eine Militärstrafgerichts- 
ordnung ohne Oeffentlichkeit annehmen würde. Als Jurist und auch sonst 
stehe ich der Frage sehr kühl gegenüber; ich lege gar keinen Wert darauf, 
ob ja oder nein. Aber wie die Sachen einmal stehen, ist die Verzögerung 
ein großer politischer Fehler. In Bayern würde das Ministerium eher 
samt und sonders zurücktreten als den bayrischen Prozeß ändern.“ 
Aufzeichnung aus dem Herbst 1895. 
Ich weiß, daß eine Anzahl Politiker und hohe Streber darauf aus- 
gehen, mich bei Seiner Majestät zu diskreditieren. Sie wollen einen 
andern Reichskanzler und geben vor, daß es einer energischen Aktion be- 
dürfe. Was können sie damit erreichen? Konflikt mit dem Reichstage 
führt zur Auflösung und zu Neuwahlen, diese zu einer Niederlage der 
Regierung. Abermalige Auflösung und Staatsstreich führt zum Konflikt 
mit den verbündeten Regierungen, zu Bürgerkrieg, zur Auflösung des 
Deutschen Reichs. Denn das Ausland wird nicht ruhig bleiben und sich 
einmischen, wenigstens Frankreich. Meine Politik ist die, mit dem Reichs- 
tage auszukommen zu suchen. Bewilligt er keine Finanzreformgesetze, so 
legt man ihm das nächstemal nichts mehr vor. Die Unzufriedenheit der 
einzelnen Staaten über die Finanzlast wird die öffentliche Meinung nicht 
unberührt lassen und das Terrain für Neuwahlen vorbereiten. 
Ich selbst gehe jeden Augenblick, wenn Seine Majestät jene Wege 
beschreiten will. 
Berlin, 10. Januar 1896. 
P. beklagt, daß Deutschland mehr und mehr Industriestaat werde. 
Dadurch werde der Teil der Bevölkerung gestärkt, auf den sich die Krone 
nicht stützen könne, die Bevölkerung der großen Städte und der Industrie- 
bezirke. Den eigentlichen Halt für die Monarchie bilde doch nur die Land- 
bevölkerung. Gehe es so fort wie jetzt, so werde die Monarchie entweder 
in Republik übergehen oder, wie in England, eine Art Schattenmonarchie 
werden. 
Ich erwiderte, daß ich diese Befürchtung teile, daß ich aber das Mittel, 
die Landbevölkerung zu stärken, noch nicht gefunden habe. Auf die exzessiven 
Forderungen der Agrarier können wir nicht eingehen. Ich sehe die Ur-
	        
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