Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

536 Die Reichskanzlerschaft und das Lebensende (1I1894 bis 1801) 
seiner Tätigkeit nähert, von besonderem Wert, denn damit wird ihm be- 
zeugt, daß er nicht umsonst gelebt hat. 
Wenn der Herr Stadtschultheiß von meiner Leutseligkeit sprach, so 
möchte ich bemerken, daß es hier selbst dem grämlichsten alten Diplomaten 
schwer werden würde, nicht freundlich zu sein, wenn ihm auf Schritt und 
Tritt von schöner Hand duftende Blumen gereicht werden und er überall 
freundlichen Blicken begegnet. Darum wird mir mein Aufenthalt hier in 
guter Erinnerung bleiben. 
An den Prinzen Alexander. 
Alt--Aussee, 1. August 1899. 
. . Ich bin gestern Abend hier eingetroffen. Ich muß aber erst 
die Eindrücke, die bei der Ankunft hier über mich kommen, überwinden, 
ehe ich mich wohl fühle. Die Erinnerung an ein ganzes Leben tritt 
dann immer so klar vor mich, daß ich ganz krank davon werde. Es ist 
eine merkwürdige Sache um das menschliche Leben. Man lebt einundfünfzig 
Jahre glücklich und zufrieden und dann kommt der Riß, der alles zerstört. 
Und dazu ist der Mensch geschaffen. Da wäre es doch besser, man wäre 
nie geboren. Das hat schon Sophokles gesagt, und es sind Jahrhunderte 
vergangen, und jeder weiß es und jeder vergißt es jeden Tag und dämmert 
dahin, erhält Ehrenstellen und Orden und geht dann ab und wird ver- 
gessen 
An denselben. 
Berlin, 17. August 1899. 
Mit der Kanalvorlage sieht es schlecht aus. Wir haben zwar heute 
wenigstens so viel erreicht, daß die Vorlage in die dritte Lesung kommt, 
das hilft uns aber nichts, da diese schon Samstag stattfindet. Das ge- 
gewisse Kompromiß zwischen Zentrum und Nationalliberalen, wodurch das 
Zentrum bestimmt werden sollte, in dritter Lesung für den Kanal ein- 
zutreten, nachdem das Kommunalwahlgesetz zustande gekommen wäre, ist 
ins Wasser gefallen. Der Kaiser will nun nicht auflösen, weil ihm mehr 
an dem Zuchthausgesetz als an dem Kanal liegt, und zu dem Zuchthaus- 
gesetz braucht er die Konservativen im Reichstag. Ich würde vorziehen, 
daß man auflöste. Wenn aber der Kaiser kein liberales Ministerium zu- 
sammenstellt — und das tut er nicht —, dann ist die Auflösung eher 
schädlich. 
An denselben. 
« Berlin, 24. September 1899. 
.JJIch mag nicht mehr nach Aussee gehen. Im Sommer vertreibt 
die Sonne und der helle Himmel die trüben Gedanken. Im Herbst an
	        
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