542 Die Reichskanzlerschaft und das Lebensende (1894 bis 1901)
er Bülow hierherbringen möchte, damit wir hier über die Details beraten
könnten. Ich frühstückte dann mit den Majestäten und fuhr beruhigt
nach Hause.
Der kaiserliche Erlaß, der den Abschied des Fürsten bewilligt, und
das Handschreiben, in welchem die Verleihung des Schwarzen Adlerordens
in Brillanten mitgeteilt wird, sind vom 17. Oktober 1900 datiert.
An die Prinzessin Elise.
Berlin, 3. November 1900.
. . . Ich habe mich rascher entschlossen, abzugehen, als ich es anfangs
beabsichtigt hatte. In den letzten Wochen kam allerhand vor, das mir
die Ueberzeugung aufdrängte, daß ein Wechsel in der Person des Reichs-
kanzlers dem Kaiser nicht unangenehm sein würde. Da ich nun fortgesetzt
an Asthma und an Schwerhörigkeit leide, so hielt ich mich berechtigt, einen
Strich zu machen und mit diesem Lebensberuf abzuschließen. Der Kaiser
nahm auch mein Gesuch sehr freundlich auf, und mein Abgang hat sich
in der friedlichsten Weise ohne Gekränktheit vollzogen. Als ich am Tage
nach der Entlassung noch zur Konfirmation des Prinzen Adalbert in
Homburg blieb, wurde mir das von den beiden Majestäten hoch an-
gerechnet.
Ich freue mich immer, wenn ich bei solchen Gelegenheiten mich von
dem christlichen Sinn der kaiserlichen Familie überzeugen kann. In unfrer
vorwiegend glaubenslosen Zeit erscheint diese Familie wie eine Oase in
der Wüste. Ich bin dann auf zwei Tage nach Baden gefahren und dann
hierher, wo ich meine Zeit zwischen Packen, Visitenmachen und Empfängen
teile. Sowie ich hier fertig bin, fahre ich auf einige Tage nach Schillings-
fürst und dann wahrscheinlich nach Meran. In der nächsten Woche sage
ich dem Reichskanzlerpalais Lebewohl. Die Erinnerung, daß Marie hier
gestorben ist, macht mir den Abschied schmerzlich.
An die Prinzessin Elise.
Schillingsfürst, 1. Dezember 1900.
Die Sendung der Bücher von Luthardt!) ist mir sehr willkommen,
und ich danke dir herzlich dafür. Jetzt, wo ich die Last des Amts ab-
gelegt habe, treten die andern, die Menschheit bewegenden Fragen näher
an mich heran, und wenn ich das Buch durchblättre, sehe ich, daß ich da
Auskunft finden werde.
In den letzten Tagen kam der Gedanke an den Begriff „Ewigkeit"“
über mich. Das ist etwas so Erschreckendes, daß man nicht wieder da-
1) Die apologetischen Vorträge.