Im Reichstage (1870 bis 1874) 49
daß nur eine Begrüßung seitens des Magistrats stattfinde und also auch
nur eine Antwort von seite des Präsidiums nötig sei. Dann Abteilungs-
sitzung. Nachmittags Besuche. Um 5 Uhr Diner mit Viktor, Amelie,
Hugo und dem Prinzen Wilhelm von Baden. Abends Tee bei der
Kaiserin. Ich saß längere Zeit zwischen dem Kaiser und der Kaiserin
an einem Tisch, an welchem noch drei Fürstinnen (Biron, Radziwill und
Gagarin) saßen. Der Kaiser brachte die neuesten Depeschen. Es wurde
viel über Paris gesprochen. Die Nachrichten lauten für die Insurgenten
günstig.
Auch von der Erklärung der katholischen Adligen Schlesiens gegen
ihre Standesgenossen in der freikonservativen Fraktion war die Rede. Der
Kaiser fragte mich danach, und ich erklärte ihm den Stand der Sache.
Auffallend war mir, daß dann die Kaiserin halb ängstlich fragte, ob ich
mit dem Kaiser über die religiösen Fragen gesprochen hätte, was ich ihr
zu ihrer Beruhigung verneinte, indem ich den Gegenstand des Gesprächs
mitteilte. Die Kaiserin ist in einer steten Angst vor konfessionellen Streitig-
keiten. Als wenn das zu vermeiden wäre! Sie will nicht einsehen,
daß die Jesuiten den Kampf begonnen haben und dabei ihre Gegner zu
passivem Herhalten veranlassen möchten. Hier erkennt man die Gefahr
nicht. Leichtsinn, Aengstlichkeit, Unkenntnis oder falsche Berechnung auf
eine Allianz mit einer Macht, die mit Preußen nie auf die Dauer gehen
wird, die nur die katholische Liga gegen das protestantische und nicht-
jesuitische Deutschland beabsichtigt, bilden die Elemente des Denkens und
Treibens der hiesigen politischen Welt. Selig in dem Vertrauen auf die
errungenen Siege, glaubt man jetzt ausruhen zu können, während die
Feinde nicht ruhen.
Abends 11 Uhr fuhr ich noch zu Bismarck. Dort hatte die große
Masse der Eingeladenen sich schon verlaufen, ich fand nur noch die Intimen
um die große Soupertafel vereinigt. Ich begrüßte Bismarck und die
Fürstin und setzte mich zu Graf Kleist, dem Reichstagsmitglied, einem ver-
nünftigen Mann, mit dem ich mich unterhielt und Maiwein trank, bis
wir auseinander gingen.
Heute, Sonntag, langes Gespräch mit Roggenbach über die religiöse
Frage. Dann Besuche. Bei Frau von Schleinitz wieder dasselbe Thema,
das mehr und mehr Gegenstand der Besprechung wird.
Berlin, 18. April 1871.
Gestern Sitzung des Reichstags bis ½5. Nach der Sitzung Be-
sprechung mit Simson und Weber, bei der auch der Magistratsrat Runge
zugezogen wurde, über das Zeremoniell bei dem Feste im Rathaus. Simson
las uns seine Antwort auf die Ansprache vor, die der Vorstand des
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. II 4