Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

50 Im Reichstage (1870 bis 1874) 
Magistrats an ihn halten sollte. Dann wurde die Frage eines Toastes 
auf die Stadt Berlin erörtert. Die Berliner Herren hatten gehört, daß 
ein naseweiser Württemberger, ich glaube Professor Römer, einen solchen 
Toast im Busen trage, und waren darüber in Aufregung. Sie hatten 
mich gebeten, ich solle den Toast ausbringen, und bei der Beratung bei 
Simson wurde die Bitte an mich wiederholt. Ich sagte mit schwerem 
Herzen zu, weil etwas Gutes doch wohl nicht mehr zustande zu bringen 
war. Nach dieser Besprechung (les war ½6, und um 8½ sollte das Fest 
beginnen und ich war noch nüchtern) begab ich mich auf einen langen 
Spaziergang in öde Straßen und überdachte mir die Ansprache. Sie 
wurde auch bald fertig. Ich dachte zu sagen, Berlin sei zwar die neue 
Hauptstadt des Deutschen Reiches, aber schon seit lange habe das Reich 
des deutschen Geistes sie zur Hauptstadt erwählt, hier, so wollte ich fort- 
fahren, hätte der deutsche Geist seine Werkstätten aufgeschlagen u. s. w. 
Auch Hegel, Schelling und Fichte hätten hier eine Heimat gefunden, aus 
der sie ihre mächtigen Lichtstrahlen ausgesandt, und so wollte ich dann 
zum üblichen Schluß gelangen. Die Sache war fertig bis ½7, wo ich 
dann zu Tisch ging, und um 8½ war ich im Rathause. Die Präsidenten 
nahmen auf einem erhöhten Standpunkt in drei Fauteuils Platz, Simson 
in der Mitte. Der Vertreter des kranken Bürgermeisters Seidel, ein Herr 
Hedemann, las von seinem Klapphut eine lange Rede an Simson ab. 
Von Zeit zu Zeit erhob sich seine Stimme an ganz ungeeigneten Stellen 
zu einem gellenden Schrei, dann las er wieder weiter. Ich mußte, da 
ich sehr exponiert war, meine Gesichtsmuskeln krampfhaft festbannen. 
Simson stand da wie aus Stein gehauen. Ebenso blieb er, als er seine 
ziemlich lange Antwort frei sprach. Nur mit seinen schwarzen Augenbrauen, 
die er bei besonderen Stellen in die Höhe zog, gestikulierte er. Sonst hielt 
er seinen Hut ohne Bewegung aufs Bein gestützt und rührte sich nicht. 
Nach dieser Zeremonie kamen der Kaiser und die Kaiserin und die 
Prinzen. Es wurde daraus ein endloser Cercle, und um ½12 stürzte 
alles in die oberen Räume zum Souper. Ich fand dort zu meiner Freude 
den Kaiser mit den Prinzen, die schon an einem Tisch saßen; ich setzte 
mich an denselben Tisch zu Simson und Wrangel, welch letzterer mir 
wiederholte Liebeserklärungen machte. Durch das unerwartete Bleiben des 
Kaisers beim Souper wurde das Programm geändert und alle Toaste 
fielen weg. Ich konnte also meinen Speech verschlucken. 
Berlin, 30. April 1871. 
Die letzten Tage waren für mich sehr mühsam. Das Gesetz, die 
Entschädigung bei Eisenbahnunfällen und Unglücksfällen in Bergwerken u. s.w. 
betreffend, lag vor und wurde, wie dies hier Sitte ist, in einer freien
	        
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