Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Im Reichstage (1870 bis 1874) 51 
Kommission beraten. Da mir Simson gesagt hatte, daß er aus perfön- 
lichen Gründen (sein Sohn ist Justitiarius bei einer Eisenbahngesellschaft) 
nicht präsidieren könne, wenigstens nicht bei der Beratung aller Para- 
graphen, so mußte ich mich genau vorbereiten und ging deshalb zu den 
Kommissionssitzungen. Diese und die Plenarsitzungen nahmen viel Zeit 
in Anspruch. Am Donnerstag fand nun die Sitzung statt. Ich hatte 
mit Lasker und mit Simson die Fragestellung der Artikel des Gesetzes 
beraten, und da nur der erste Artikel zur Debatte kam, so ging es mit 
der Abstimmung ganz gut. In der Debatte kam es nur einmal zu einem 
Zwischenfall, der zu Unannehmlichkeiten hätte Anlaß geben können. Herr 
Prince-Smith, ein bekannter nationalökonomischer Schriftsteller, verlangte 
das Wort zur Geschäftsordnung und warf mir vor, ich müsse eine Redner- 
liste haben, was nach der Geschäftsordnung verboten ist, da er schon oft 
das Wort verlangt habe, ohne es zu erhalten, während ich Rednern das 
Wort gäbe, die, soviel er bemerkt habe, nicht das Wort verlangt hätten. 
Nun hatte der Mann allerdings recht, allein da sich immer zehn und 
mehr Redner auf einmal zum Wort melden, muß man sich die Leute, die 
sprechen wollen, notieren, und darunter die wählen, welchen man das Wort 
gibt. Beim Zollparlament bestand eine Rednerliste. In der Geschäfts- 
ordnung des Reichstags ist diese verboten, und der Präsident soll dem 
das Wort geben, der sich zuerst meldet, was natürlich nicht möglich ist. 
Trotzdem also, daß der Herr Prince-Smith recht hatte, mußte ich ihm 
entgegentreten und tat dies in so nachdrücklicher Weise, daß er verstummte 
und eine Sensation prolongée der Versammlung mir bewies, daß meine 
Worte ebenso viel Ueberraschung als Eindruck hervorgebracht hatten. Ich 
habe damit meine Stellung als Präsident wesentlich befestigt und die, 
welche mich bisher als einen höflichen Mann betrachtet hatten, sehen in 
mir den Tyrannen der Versammlung, was der Präsident immer sein muß. 
Neulich hatte ich ein interessantes Gespräch mit Moltke, der, wenn 
er auf einen Gegenstand kommt, der ihn interessiert, keineswegs schweig- 
sam ist. Er beklagte sich über Thiers, der sich in die militärischen Dinge 
aus Eitelkeit und Eifersucht einmische und Mac Mahon hindere, durch- 
zugreifen. Sonst, meinte er, müsse die Insurrektion schon zu Ende sein. 
Beim Kronprinzen war gestern große Soiree. Alle Notabilitäten der 
Politik, Wissenschaft u. s. w. waren vereinigt. Ein kleiner General, mit den 
höchsten Orden geschmückt, erregte meine Neugierde. Ich fragte und er- 
fuhr, es sei Werder. Ich ließ mich ihm vorstellen. Es ist ein Mann 
wie viele in der preußischen Armee, heiter und unbefangen, dem man es 
nicht ansieht, daß er eine der schwierigsten Aufgaben gelöst hat. Er er- 
zählte davon wie von einem glücklichen Zufall und rechnete sich das Ver- 
dienst nicht hoch an. Die Soiree war sehr ermüdend. Erstickende Hitze
	        
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