56 Im Reichstage (1870 bis 1874)
allem, was er tut, etwas auszusetzen haben. Diese beiden Größen sind
schwer zu vereinigen, und es ist eines der großen Verdienste des Kaisers,
daß er es durch seine taktvolle Liebenswürdigkeit immer zustande bringt,
diese beiden Herren im richtigen Geleise zu halten. Es ist nicht genug
hervorzuheben, daß gerade die milde Persönlichkeit des Kaisers das größte
Verdienst bei den großen Erfolgen hat, welche im vergangenen Jahr er-
rungen worden sind. Auch gehört eine große Selbstverleugnung dazu, die
Ovationen, welche Bismarck und Moltke erhalten, ohne Neid mit anzusehen.
Meine Verehrung für den alten Herrn hat deshalb sehr zugenommen.
Für Oesterreich ist man hier sehr gut gestimmt. Man will alles
vermeiden, was wie eine Begünstigung eines der österreichischen Regierung
feindlichen Elementes angesehen werden könnte.1) Diese Stimmung ist
nicht nur in den Regierungs= und Hofkreisen, sondern auch in den Kreisen
der Abgeordneten vorherrschend. Ebenso vorsichtig ist man in den
katholischen Fragen. Die Döllingersche Bewegung findet hier wenig An-
klang. Eine Unterstützung der Partei Moy durch preußischen Einfluß ist
undenkbar. Man kann sich hier für diesen dogmatischen Streit nicht er-
wärmen. Die katholische Kirche als solche, wie sie ist und wie sie selbst
sein will, ist der Regierung recht. Was sich dem Papste nicht unterwirft,
gilt für abgefallen. An dieser Gleichgültigkeit der Protestanten wird die
Bewegung in Bayern wohl zugrunde gehen, wenn nicht an eigener Un-
haltbarkeit.
Berlin, 17. Mai 1871.
Gestern Abend bei Bismarck. Es war dort die gewöhnliche Gesell-
schaft. Frau von Arnim, Bismarcks Schwester, dann Spitzemberg mit
Frau, ein württembergischer Diplomat Graf Uexküll und einige andre.
Um 11 Uhr kam Bismarck. Es wurde Bier und Maitrank getrunken
und geraucht. Nach und nach kam Bismarck ins Erzählen. Er behandelt
alles mit einem gewissen Uebermut. Das gibt ihm gegenüber den ängst-
lichen Gemütern der alten europäischen Diplomatie das große Uebergewicht.
Das hat er zu allen Zeiten getan. Jetzt aber kommen ihm noch die
großen Erfolge zustatten, so daß er der Schrecken aller Diplomaten ist.
Die Verhandlungen in Frankfurt mit Favre und Pouyer-Quertier hat er
in dieser Weise zu Ende geführt. Er drohte den französischen Unter-
händlern, wenn sie seinen Forderungen nicht nachgäben, würde er sofort
nach Paris telegraphieren und die deutsche Armee anweisen, Versailles
anzugreifen. Entweder müßten sie Alliierte sein oder Feinde. Ein drittes
gäbe es nicht. Le Clerc, der auch mitgekommen war und als guter
1) Das Ministerium Hohenwart stieß damals bei seiner förderalistischen Po-
litik auf entschiedenen Widerstand der Deutschen. Die Regierung bemühte sich,
durch Polizeikünste die Siegesfeiern in den deutschen Städten zu hindern.