Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

64 Im Reichstage (1870 bis 1874) 
Den Montag Abend ging ich zu Bismarck. Ich saß lange im Salon 
mit den Damen, ehe er kam. Um 11 Uhr erschien er und kam sogleich 
auf mich zu, um mich zu bitten, mit ihm in sein Kabinett zu gehen und 
den Brief anzuhören, den er an Frankenberg #) geschrieben hatte. Er ließ 
den Brief holen (der ja auch in den Zeitungen veröffentlicht werden wird) 
und fragte mich, ob ich damit zufrieden sei und ob es nicht zu stark wäre. 
Ich sagte, ich hätte nichts dagegen zu erinnern, die Klerikalen würden 
dadurch freilich nicht angenehm berührt sein. Darauf erwiderte Bismarck: 
„Ich will ihnen auch nichts Angenehmes sagen,“ und sagte dann noch, 
daß die Allianz der Klerikalen mit den Demokraten wie Schröder-Lippstadt 
seinen ganz besonderen Unwillen erregt, „dem Faß den Boden ausgeschlagen 
hätte“. Er werde jetzt gegen sie aggressiver vorgehen und namentlich 
im Kultusministerium die Clique Krätzig austreiben. Nach einigen Be- 
sprechungen über Bray,) den er zwar gernhat, aber nicht im Bundes- 
rat brauchen kann, da er nur den gewöhnlichen Diplomatenjargon ver- 
stehe, aber kein Geschäftsmann sei, nachdem er über Perglas sich ungünstig 
geäußert, auf die Münchner Krise aber nicht weiter eingegangen war, 
sagte er: „Jetzt müssen wir aber in den Salon zurück, sonst glaubt 
Pfretzschner (der da war), daß wir konspirieren.“ Um 12½ Uhr empfahl 
sich alles. 
Aussee, 13. Juli 1871. 
Bei meiner Rückkehr nach München am 6. d. M. bemühte ich mich 
vor allem, mich über die Situation in Bayern zu orientieren. Es ergab 
sich nun folgendes: In einem Ministerrat wurden die Grundsätze besprochen, 
von welchen Lutz von nun an in der kirchlichen Frage ausgehen wollte. 
Hier zeigte sich nun Meinungsverschiedenheit zwischen Bray einerseits und 
den übrigen Ministern anderseits. Bray steht auf dem römischen Stand- 
punkt, die andern Minister wollen den Uebergriffen der Geistlichkeit gegen- 
über eine mehr defensive, vielleicht sogar aggressive Stellung einnehmen. 
Ob wirklich von einer Kündigung des Konkordats die Rede war, weiß 
ich nicht. Hiernach muß sich jetzt der König entscheiden, ob er Bray 
behalten und die andern Minister entlassen will, oder ob er Bray ent- 
lassen will. Letzteres würde er tun, wenn er einen Ersatz für ihn hätte. 
Die Minister wissen, daß ich mit Schlör nicht zusammengehen kann und 
  
1) In diesem Briefe stellte der Reichskanzler fest, daß Kardinal Antonelli die 
Haltung der Zentrumsfraktion im Reichstage mißbilligt habe. Der parlamentarische 
Einfluß der Fraktion wurde dahin charakterisiert, daß er „in derselben Richtung 
ins Gewicht falle wie die Tätigkeit derjenigen Elemente, welche die Herstellung 
des Deutschen Reichs prinzipiell anfechten und negieren“. 
2) Der Minister des Aeußern in München, Graf Bray-Steinburg, forderte 
am 17. Juni seine Entlassung.
	        
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