Im Reischstage (1870 bis 1874) 85
Abends Ball bei Itzenplitz. Der Kaiser begrüßte mich besonders
freundlich, die ultramontanen Damen mit sauersüßem Lächeln. Fürstin
Pelagie Radziwill hatte der ganzen Verhandlung angewohnt.
18. Mai.
Gestern mit Friedberg über die Fassung des Gesetzentwurfes gesprochen.
Ebenso mit Gneist. Meine drei Artikel werden von allen Seiten als die
Grundlage des neuen Gesetzes angesehen und vielfach besprochen.
Berlin, 14. Juni 1872.1)
Die Jesuitenfrage, die in diesem Augenblick im Reichstag debattiert
wird (eben steht Windthorst auf der Tribüne, spricht aber aufsallend schwach),
macht uns viel Arbeit. Ich werde von allen Seiten als der eigentliche
Vater der Maßregeln gegen die Jesuiten angesehen, ohne daß ich bei dem
schlecht redigierten Gesetzentwurf irgendwie beteiligt bin. Gestern war
Fraktionssitzung, in welcher ich den von Bennigsen mir mitgeteilten Ent-
wurf der Nationalliberalen der Fraktion mitteilte, der auch im wesent-
lichen die Zustimmung der Fraktion erhielt. Nachher, es war schon ½11,
ging ich noch in die Versammlung der sogenannten Freien Vereinigung,
die sich über das Gesetz unterhielt. Ich fand da Roggenbach, Frieden-
thal, Münster, Miquel u. a. Mir machte die Debatte den Eindruck, als
hätten alle Redner keine rechte Courage und suchten nach Mitteln, um sich
die unbequeme Jesuitensache vom Hals zu schaffen. So proponierten
Miquel und Roggenbach, man müsse erst fragen, was man bei den ver-
bündeten Regierungen durchsetzen werde, andre brachten andres. Mir, der
ich in der Ecke des Zimmers ruhig zuhörte, ging zuletzt die Geduld aus.
Ich machte die Herren darauf aufmerksam, daß wir vor einem bereits
gefaßten Beschluß des Reichstags stünden, daß dieser Beschluß die Beun-
ruhigung über die Tätigkeit des Jesuitenordens gewissermaßen bestätigt
und autorisiert habe, es sei Pflicht, die Mittel anzunehmen, um der
Gefahr entgegenzutreten. Diese Mittel biete der Gesetzentwurf, wenn auch
in unvollkommener Form. Etwas müßten wir aber beschließen. Der
Bundesrat werde das tun, was wir ihm vorschlagen würden, er werde
nicht den Mut haben, das Gesetz dann nicht zu sanktionieren. Dies schien
Eindruck zu machen, denn es wurde sofort eine Kommission gewählt von
drei Mitgliedern, darunter auch ich, die sich mit den Fraktionen ins Be-
nehmen setzen und einen Entwurf ausarbeiten sollten. Es war ½12 Uhr
Nachts, als wir auseinandergingen.
Die heutige Debatte war nur eine erste, also nur allgemeine Dis-
kussion. Beschlüsse werden da nicht gefaßt. Nach der Sitzung hatten
1) Erste Lesung des vom Bundesrat vorgelegten Jesuitengesetzes.