Im Reichstage (1870 bis 1874) 87
Fäustle wünsche sehr meinen Eintritt ins Ministerium,) und es frage sich
nur, ob ich geneigt sei, mit Lutz zusammenzugehen. Ich bejahte dies für
den Fall, daß die Fortschrittspartei Lutz nicht fallen lasse, was er bestimmt
verneinte. In dieser Beziehung sei kein Zweifel, sie würden jedenfalls
an Lutz festhalten. Danach scheint es mit dem Ministerium Ernst zu
werden; denn das ist die Hauptfrage. Marquardsen war jedenfalls von
den Ministern beauftragt, mich auszuholen. Bennigsen kam dann und hob
hervor, wie notwendig es sei, daß ich in Bayern jetzt Minister würde. Es
werde für die hiesige Regierung von größtem Wert sein, jemand dort zu
haben, auf den sie zählen könnte. Das gleiche war mir von den
Führern aller andern Parteien versichert worden. Es würde Torheit
sein, sich durch die Universitätsgeschichten?) abhalten zu lassen, in das
Ministerium einzutreten. Würde man hier und in der Fortschrittspartei
gegen Lutz sein, so wäre es, bei dem Wunsche, mich in München wieder
im Ministerium zu sehen, ein leichtes, ihn wegzubringen. Da man ihn
aber festhalten will, so muß ich ihn in den Kauf nehmen.
Ems, 9. Juli 1872.
Gestern Ankunft in Ems um 11 Uhr.
Heute früh auf der Promenade. Ich sah den Kaiser gehen, ging ihm
nach und wurde dann eingeladen, den Kaiser auf dem Spaziergang zu begleiten.
Wir sprachen über die bayrischen Verhältnisse. Er wünscht, daß ich wieder
Minister würde. Ich begegnete dann dem General Grafen Stolberg, den
ich, da er keinen Wagen hatte, einlud, mit mir nach Nassau zu fahren.
Um 10 Uhr fuhren wir fort. Wir kamen gegen 11 Uhr nach Nassau.
Dort war bei der Gräfin Kielmannsegge, der Enkelin Steins, schon alles
zum Empfang der höchsten Herrschaften bereit. Die Damen in großer
Toilette; der Urenkel Steins, ein kleiner Junge von zwölf Jahren, in hell-
blauer Jacke. Alles mit Buketten. Der Salon war mit Eichengirlanden
dekoriert, was mir übel machte. Ich fand das Komitee, Simson, Bunsen
und Arnim Boitzenburg, die mir die höchst unerfreuliche Nachricht brachten,
daß ich den Toast auf den Kaiser auszubringen hätte. Um ½12 Uhr
kam die Kaiserin mit dem Kronprinzen. Erstere etwas kühl, der Kron-
prinz sehr liebenswürdig, will im August nach Schillingsfürst kommen.
Bald darauf kam der Kaiser von Ems. Darauf Diner, und gegen 1 Uhr
setzte man sich in Bewegung nach dem Denkmal. Ich fuhr mit Bancroft
und Albedyll bis an den Fuß des Berges, worauf das Denkmal errichtet
1) Der Ministerpräsident und Minister des Auswärtigen Graf Hegnenberg-
Dux war am 2. Juni gestorben.
2) Bezieht sich auf die Differenzen zwischen der Universität München und der
Zweiten Kammer, welche die Anstellung infallibilistisch gesinnter Professoren forderte.