88 Im Reichstage (1870 bis 1874)
ist. Wir wateten im Schmutz hinauf, es hatte bis dahin geregnet. Oben
Pavillon für den Kaiser u. s. w., wir um das Denkmal. Rede von Sim-
son und Sybel. Letzterer sprach eine Stunde. Enthüllung, Hurra, „Heil
dir im Siegerkranz“, weißgekleidete Mädchen, Schulkinder u. s. w. Dar-
auf Cercle und endlich Abzug. Ich ging zu Arnim, wo wir die Stunde
des Festmahls abwarteten. Um 4 Uhr in den Kursaal. Ich saß zwischen
Eulenburg und Simson. Neben mir ein riesenhafter Kuchen mit Büsten
des Kaisers, Bismarcks u. s. w. Nach dem Fisch stand ich auf und sagte:
„Meine Herren! Es ist mir der ehrenvolle Auftrag geworden, den ersten
Toast auszubringen. Ich glaube mich nicht besser dieser Aufgabe unter-
ziehen zu können, als wenn ich Sie erinnere an ein Wort, welches der
große Kurfürst im Jahre 1660 niedergeschrieben hat. Er sagte: „Gedenke,
daß du ein Deutscher bist!“ Diese Worte sind ein Vermächtnis, ein
Mahnwort geworden für seine Nachkommen, und die Hohenzollern sind
diesem Vermächtnis treu geblieben. Dafür ward ihnen der schönste Gewinn.
Sie stehen nun an der Spitze von Deutschland, geachtet und geliebt von
allen. Keinem aber von allen Fürsten des erlauchten Hauses war es in
gleichem Maße vergönnt, jenen Grundsatz in glänzende Taten zu über-
tragen, als unserm Kaiser, Wilhelm dem Siegreichen. Die Nachwelt wird
dankbar auf ihn blicken als auf den Wiederbegründer des Deutschen Reichs.
Wir, denen es vergönnt war, die Taten des Kaisers mitanzuschauen, wir,
die wir nicht allein den Kaiser verehren, sondern auch den liebenswürdigsten
der Menschen lieben, wir wollen ihm einen herzlichen Gruß bringen, und
so fordere ich Sie auf, mit mir einzustimmen in den Ruf: Der Kaiser
Wilhelm und das ganze kaiserliche Haus lebe“ u. s. w.
Dann noch viele Toaste. Allgemeine Beduselung. Abends Festwiese.
Dann nach Ems zurück.
München, 1. August 1872.
Eben aus der Universität zurück, wo Döllinger bei Gelegenheit des
Jubiläums der Münchner Universität eine glänzende Rede gehalten hat.
Prinz Ludwig, Adalbert und Karl Theodor waren anwesend. Viele Be-
kannte begrüßt. Die sorgenvollen Gesichter der Minister erklären sich auf
folgende Weise. Der König hat hinter dem Rücken Eisenharts Gasser
beauftragt, ein neues Ministerium zu bilden! Dieser hat mit Pranckh
und Pfretzschner konferiert, und sämtliche Minister haben ihre Entlassung.
eingereicht. Das Ministerium, welches Gasser bilden wird, ist ein wesent-
lich partikularistisches. Es wird auch so von Preußen angesehen werden,
und damit wird Klarheit in die Situation kommen. Wer von den alten
Ministern in das Ministerium treten wird, ist noch nicht gewiß. Pfeufer
jedenfalls nicht, ob Lutz bleiben wird, ist zweifelhaft. Jedenfalls werden
sich diejenigen der angeblich liberalen Minister, welche bleiben, gründlich