110 Gerichtsverfassung.
dem Schöffengericht, von der Strafkammer des Landgerichts oder gar von dem
Schwurgerichte entschieden wäre.
Nun kann ja aber auch das Umgekehrte eintreten, d. h. es kann statt des Ge-
richtes höherer Ordnung, welches in der Sache hätte erkennen sollen, das Urtheil
von einem Gerichte niederer Ordnung abgegeben sein. In diesem Falle würden die
Parteien weniger erhalten haben, als sie an Garantien für eine korrekte Rechtspflege
von Gesetzes wegen zu fordern berechtigt waren, und es kann demgemäß ein so ge-
fundenes Urtheil wegen sachlicher Unguständigkeit des Gerichts angefochten werden.
Doch ist hier gerade ein Unterschied zwischen Urtheilen in Strafsachen und Urtheilen
in Civilsachen hervorzuheben, ein Unterschied, der durch die Verschiedenartigkeit des
civilrechtlichen und des strafrechtlichen Anspruches bedingt ist. Ob A. den B. wegen
eines Kaufgelderrestes oder wegen eines Darlehns verklagt, das interessirt die öffent-
liche Rechtsordnung in keiner Weise; es genügt, wenn für den Fall, daß A. den B.
verklagen will, die Gerichte vorhanden sind, welche über den geltend gemachten An-
spruch in sachgemäßer und zweckmäßiger Weise zu erkennen vermögen. Hierauf be-
schränkt sich das öffentlich-rechtliche Interesse der G. für civilrechtliche Ansprüche.
Aber ebenso wie A. auf den vermögensrechtlichen Anspruch, der ihm gegen B. zu-
steht, gänzlich verzichten kann, ebenso wie es den beiden Parteien unbenommen ist,
ihre Streitigkeit durch ein schiedsrichterliches Urtheil beilegen zu lassen; ebenso muß
es den Parteien freistehen, ihre Streitigkeit statt von dem Gerichte höherer Ord-
nung von dem Gerichte niederer Ordnung entscheiden zu lassen. Mit anderen Worten:
für civilrechtliche Streitigkeiten ist es auf Grund ausdrücklicher oder stillschweigender
Uebereinstimmung der Parteien zulässig, die Vorschriften der sachlichen Zuständigkeit
dahin abzuändern, daß statt des Gerichtes höherer Ordnung das Gericht niederer
Ordnung das sachlich zuständige Gericht wird. (Gewillkürter Gerichtsstand in
Bezug auf die sachliche Zuständigkeit; vgl. CPO. § 38.) Ganz anders ist es aui
strafrechtlichem Gebiete. Hier erfordert es von vornherein das öffentliche Interesse,
daß der durch Begehung des Verbrechens dem Staate entstandene strafrechtliche An-
spruch verfolgt werde, und daß er so verfolgt werde, wie das Gesetz dies in Bezug
auf die Größe des in Frage stehenden strafrechtlichen Anspruches für erforderlich ge-
halten hat. Von einem Verzichtrechte der Parteien ist hier überall nicht die Rede.
Und deshalb kann auch von einem Verzichte auf das Recht, den Straffall von dem
sachlich zuständigen Gerichte entschieden zu sehen, nicht die Rede sein. Gehört die
Entscheidung eines Straffalles vor ein Gericht höherer Ordnung, so darf denselben
ein Gericht niederer Ordnung nicht entscheiden; d. h. im Strafverfahren giebt es
einen gewillkürten Gerichtsstand in Bezug auf die sachliche Zuständigkeit nicht. Hin-
zuzufügen ist, daß es auch solche Rechtssachen giebt, die zwar den Civilsachen zu-
gezählt werden, doch aber ihrer Natur nach in das Gebiet des öffentlichen Rechts
wesentlich hinübergreifen. Wenn dies dann von der Gesetzgebung dadurch anerkannt
wird, daß dieselbe Rechtsstreitigkeiten dieser Art ausschließlich von einem Gerichte
höherer Ordnung entschieden wissen will, so würden diese die sachliche Zuständigkeit
betreffenden Vorschriften durch Uebereinkunft der Betheiligten nicht geändert werden
können. (Ausschließlicher Gerichtsstand in Bezug auf die sachliche Zu-
ständigkeit der Gerichte; vgl. CPO. § 568; G. § 70 Abs. 2 Nr. 1 u. 2.)
Die Gerichte sind Staatsgerichte (GG. § 15), d. h. es ist die Gerichts-
barkeit nicht nur ein Attribut der Staatsgewalt, sondern auch die Ausübung der
Gerichtsgewalt erfolgt nur durch Organe, welche zu diesem Zwecke von der Staats-
gewalt eingesetzt sind. Die Aufhebung der Privat= oder Patrimonialgerichtsbarkeit
ist — wie dies z. B. für Preußen schon durch Verordnung vom 2. Januar 1849
geschehen — durch das G. nunmehr für ganz Deutschland erfolgt; und ebenso ist
der Ausübung der geistlichen Gerichtsbarkeit in weltlichen Angelegenheiten, namentlich
auch in Ehe= und Verlöbnißsachen, jede über die Sphäre der Kirche hinausgehende
Wirkung entzogen. Sind nun aber in dieser Weise die ordentlichen Gerichte nur