Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Geschäftsordnung. 135 
finden. Auch kann das Haus nach stattgehabter Berathung die Angelegenheit zu 
abermaliger Berichterstattung der Kommission überweisen. Die G. des Deutschen 
Reichstags fordert für alle Gesetzentwürfe, sowie für alle Anträge des Bundesraths, 
auch wenn dieselben keine Gesetzentwürfe enthalten, drei Berathungen, von denen die 
erste sich auf eine allgemeine Diskussion im Plenum beschränkt und mit dem Be- 
schlusse darüber, ob die Vorberathung einer Kommission zuzuweisen ist, endigt, die 
zweite für die Spezialdiskussion der Vorlage und bzw. der Kommissions-, sowie 
etwaiger Abänderungsanträge bestimmt ist, die dritte endlich — falls eine solche 
nicht in Folge der während der zweiten Berathung erfolgten Ablehnung des ganzen 
Entwurfs wegfällt — auf Grund der vom Präsidenten verfaßten Zusammenstellung 
aller in der zweiten Berathung gefaßten Beschlüsse stattfindet und mit der Abstim- 
mung über Annahme oder Verwerfung schließt. Wie auch im zweiten und dritten 
Stadium der Berathung die Verweisung an eine Kommission beschlossen werden 
kann, so können noch in der dritten Berathung Abänderungsvorschläge gemacht wer- 
den; während dieselben aber in der zweiten Berathung keiner Unterstützung bedurften, 
setzt ein in der dritten Berathung eingebrachter Abänderungsvorschlag die Unter- 
stützung von 30 Mitgliedern voraus. 
Kommissionsberichte, eben so wie Erklärungen der Regierungskommissare dürfen 
abgelesen werden; die Kammermitglieder dagegen müssen frei sprechen. Die Diskus- 
sion selbst wird durch die Unterscheidung einer die ganze Angelegenheit betreffenden 
General= und einer auf die einzelnen Artikel, Posten, Absätze der Vorlage bezüg- 
lichen Spezialdebatte geordnet. Die Reihenfolge der Redner, welche sich regelmäßig, 
sobald die Debatte eröffnet worden, bei den Schriftführern des Hauses für oder 
gegen den gestellten Antrag zu melden haben, wird meistens nach der Reihenfolge 
der Meldung und, ist diese gleichzeitig geschehen, durch das Loos in der Weise be- 
stimmt, daß zuerst der erstausgelooste Redner für, dann der erstausgelooste Redner 
gegen die Vorlage r2c. das Wort erhält. Dieser im Preußischen Abgeordnetenhause 
festgehaltene Modus, die Rednerliste, ist vom Deutschen Reichstag aufgegeben worden. 
In diesem erhält dasjenige Mitglied das Wort, welches zuerst nach Eröffnung der 
Diskussion oder nach Beendigung der vorhergehenden Rede darum nachsucht. Die 
Ertheilung des Wortes steht dem Präsidenten zu, welcher sich an der Debatte nur 
betheiligen darf, nachdem er den Vorsitz abgetreten. Der Präsident wacht darüber, 
daß die Rede sich auf den vorliegenden Gegenstand beziehe, nicht abschweife, auch 
nicht die Grenzen der parlamentarischen Redefreiheit überschreite. Zur Wahrung 
dieser Aufsicht darf der Präsident den Redner unterbrechen und ermahnen, nöthigen- 
falls zur Ordnung rufen oder endlich ihm das Wort entziehen (so Bayern). Erhebt 
der Redner deshalb Einspruch, so hat das Haus ohne Diskussion darüber zu ent- 
scheiden, ob der Präsident seine Befugniß richtig angewandt habe. Die G. des 
Preußischen Land= und des Deutschen Reichstages sprechen nach zweimaligem vergeb- 
lichen Ordnungsrufe des Präsidenten die Entscheidung über die Entziehung des 
Wortes dem Hause zu. Nach mehreren Verfassungen ist es zulässig, durch Beschluß 
der Kammer ein Mitglied wegen ordnungswidrigen oder unwürdigen Betragens oder 
wegen beharrlicher Versäumniß der Sitzungen auf Zeit auszuschließen, sogar seines 
Sitzes für verlustig zu erklären (Bayern, Hessen, Braunschweig, Oldenburg, Anhalt, 
Reuß ä. L., Waldeck, Sachsen-Weimar u. A.). Eine Vorlage des Bundesraths, 
welche zur Vermehrung und Verschärfung der dem Deutschen Reichstage gegen seine 
Mitglieder zustehenden Disziplinarstrafmittel (Verweis vor versammeltem Hause, Ver- 
pflichtung zur Entschuldigung oder zum Widerrufe vor versammeltem Hause, Aus- 
schließung aus dem Reichstage auf bestimmte Zeit, selbst bis zum Ende der Legis- 
laturperiode) bezweckte, ist vom Reichstage am 7. März 1879 abgelehnt worden. 
Andererseits muß aber auch der Präsident dem Redner Gehör verschaffen, deshalb 
das Haus und die Zuhörerräume zur Ruhe anhalten, die letzteren sogar, wenn von 
ihnen Zeichen des Beifalls oder Mißfallens gegeben worden, räumen lassen und
	        
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