Gewerbs= und gewohnheitsmäßige Verbrechen. 177
Auf Fabriksarbeiter finden die §§ 121—125, oder wenn sie als Lehrlinge
anzusehen sind, die §§ 126—133 Anwendung. Kinder unter 12 Jahxen dürfen in
Fabriken gar nicht, unter 14 Jahren nur sechs, von 14—16 Jahren nur zehn
Stunden täglich beschäftigt werden. Für Wöchnerinnen gilt dies während drei
Wochen nach ihrer Niederkunft (§ 135). Arbeiterinnen dürfen in Bergwerken nicht
unter Tage beschäftigt werden (§ 154). Weitere Vorschriften über die Beschäftigung
jugendlicher Arbeiter enthalten die 98 136—139 b. Die 8§ 146 und 150 bedrohen
die Nichtbeachtung der gegebenen Vorschriften mit Strafen: bis 2000 Mark und im
Unvermögensfalle bis zu 6 Monaten Gefängniß, sowie bis 300 Mark und im Un-
vermögensfalle mit Haft.
Lit.: Mascher, Das Deutsche Gewerbewesen, Potsd. 1866. — Brougham, Praktische
Vemerkungen über die Ausbildung der gewerbtreibenden Klassen, übers. v. Klöden, Berlin
7. — v. Rönne, Die Gewerbepolizei des Preuß. Staats, Breslau 1851.
v. Kräwel.
Gewerbs= und gewohnheitsmäßige Verbrechen. Die Gewerbs= und
die Gewohnheitsmäßigkeit finden sich im Strafrecht als Thatbestands= und als
Qualifikationsmomente, d. h. sie begründen oder erhöhen die Strafbarkeit gewisser
Handlungen, wenn diese gewerbs= oder gewohnheitsmäßig begangen werden. Man
nennt diese Verbrechen auch Kollektivdelikte, obwol diese Bezeichnung nicht auf alle
Fälle zutrifft und daher nicht ohne Bedenken ist. Das Charakteristische dieser Ver-
brechensklasse soll darin liegen, daß sie nicht in einer einzelnen Handlung, sondern
in einer Häufung von Handlungen bestehen, die sich als Ausfluß derselben Ge-
wöhnung oder Lebensweise darstellen.
In den geltenden Straf GB. sind die beiden Begriffe in sehr verschiedener Weise
angewendet. Einige StrafG# B. erwähnen nur die Gewerbsmäßigkeit (Ungarn, Oesterr.
Entwurf) oder nur die Gewohnheitsmäßigkeit (Frankreich, Belgien, Ikalien), andere
dagegen beide Begriffe (RStraf GB., Oesterreich); einige verwenden sie nur als That-
bestandsmomente, andere auch als Oualifikationsmomente. Während man früher
für die beiden Begriffe vielfach gesetzliche Definitionen, die meist in Zahlen bestanden,
aufstellte, kommt dies jetzt nur noch höchst ausnahmsweise vor. Die größte Mannig-
faltigkeit zeigt sich in Betreff der Verbrechen, bei welchen die gewerbs= oder gewohn-
heitsmäßige Begehung mit Strafe bedroht ist. Mehrfach sind sogar in demselben
Straf GB. bei einem Verbrechen beide Begehungsarten erwähnt. Nicht ein Ver-
brechen ist vorhanden, bei dem die Straf GB. hinsichtlich der Gewerbs= und der
Gewohnheitsmäßigkeit vollständig übereinstimmen. Es ist dies um so auffälliger,
wenn man sich vergegenwärtigt, daß die hier in Betracht kommenden Verbrecher
überall eine besondere Klasse bilden, die in fortwährendem Kampfe gegen die Ein-
richtungen des Staates begriffen ist und an deren Bekämpfung alle Staaten das
gleiche Interesse haben. '
Im Reichsstrafrecht kommen die Gewerbs= und die Gewohnheitsmäßig-
keit in beiden Bedeutungen vor: «
1) Die Gewerbsmäßigkeit als Thatbestandsmoment: bei dem Glücks—
spiel (StrafGB. 8 284) und der Unzucht (§ 360 Z. 6) — als Qualifikations-
moment: bei dem unberechtigten Jagen (StrafGB. 8 294) und gewissen Ueber—
tretungen des Bankgesetzes vom 14. März 1875 § 57.
2) Die Gewohnheitsmäßigkeit als Thatbestandsmoment: bei dem
ier verringerter Münzen als vollgültiger (StrafG# B. § 150) und der Kuppelei
800.
3) Die Gewerbs= und die Gewohnheitsmäßigkeit als That-
bestandsmomente: bei den Uebertretungen gewisser vom Bundesrath hinsichtlich
des Münzwesens erlassener Anordnungen (Münzgesetz vom 9. Juli 1873 Art. 13) —
als Qualifikationsmomente: bei der Hehlerei (Straf# B. § 260) und dem
Wucher (§ 302 d).
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon II. 3. Aufl. 12