212 Gründungsprospekt.
Diejenigen, welche sich durch Zeichnungen betheiligen, erste Zeichner im Sinne des
Art. 208 des HGB.; die Zeichnungescheine bilden in ihrer Gesammtheit neben dem
Statut das zur Gründung der projektirten Gesellschaft erforderliche Material. Dieser
Modus, in der Theorie „Gründung durch successive Betheiligungserklärungen“ ge-
nannt, ist in der Praxis der seltenere. Häufiger geschieht die Gründung in der
Weise, daß ein geschlossener kleiner Kreis von Projektanten zugleich die Gesammtheit
der ersten Zeichner bildet, d. h. daß die Projektanten unter sich das ganze Kapital
zeichnen, die Gesellschaft herstellen, und die durch eigene Zeichnung erworbenen Aktien
im Wege des einfachen Verkaufs an das Publikum bringen. In beiden Fällen ge-
schieht die öffentliche Einladung des Publikums in der Regel unter Erlaß eines
Prospektes, den die Handelswelt, und neuerdings auch die Rechtswissenschaft technisch
als „G.“ begeichnet. Streng genommen ist nur ein behufs Gründung durch successive
Betheiligungserklärungen erlassener Prospekt ein G.; denn nur durch einen solchen
werden die Reflektanten zur Theilnahme an einer Gründung eingeladen. Aber auch
jene zum Zwecke des Verkaufs bereits vorhandener Aktien publizirte Darlegung führt
gemeinhin den gleichen Namen. Sie enthält, ihrem Zwecke entsprechend, Mittheilungen
über das Vermögen und über die Aussichten auf günstige Entwickelung der neu ge-
gründeten Gesellschaft, behufs Veranschaulichung der Vortheile, welche den Käufern (in
der Geschäftswelt auch hier fälschlich „Zeichner"“ genannt) aus dem Ankauf der be-
züglichen Aktien erwachsen können. Je nachdem aber der G. zu wirklichen ersten
Zeichnungen oder zum Ankauf bereits fertiger Aktien einer neuen Gesellschaft einladet,
sind die daraus entstehenden Verhältnisse verschieden. Im letzteren Falle bildet der
Prospekt die einfache Aufforderung zu Offerten über ein Kaufgeschäft; enthält er also
unrichtige Angaben, so ist die Gültigkeit des abgeschlossenen Kaufvertrages davon
abhängig, inwieweit die Rechtsgrundsätze über einen den Vertrag entkräftenden Irr-
thum Anwendung finden. Und keinenfalls aber wird durch eine aus dem Inhalte des
Prospektes begründete Anfechtung dieser sog. Zeichnung die Rechtsbeständigkeit der
Aktiengesellschaft in Frage gestellt. Ob dasselbe von dem zur Leistung wirklicher
erster Zeichnungen einladenden Prospekte gelte, hängt von der Frage ab, wie die
Entstehung der Aktiengesellschaft auf Grund successiver Betheiligungserklärungen über-
haupt juristisch zu konstruiren sei. Hierüber bestehen in der Theorie die verschie-
densten Ansichten, welche im Laufe der letzten Dezennien nach einander von Jolly
(Zeitschrift für Deutsches Recht, Bd. XI. S. 31 ff.), Brinkmann (Lehrbuch des
Handelsrechts, Heidelberg 1852, S. 239 ff.), Auerbach (Das Gesellschaftswesen,
S. 236 ff.), Renaud (Recht der Aktiengesellschaften, 1. und 2. Aufl., in der letzteren
S. 221 ff.), Laband (in der Goldschmidt's'schen Zeitschrift für das gesammte
Handelsrecht, Bd. VII. S. 620 ff.), J. F. E. Hahn (Ueber die aus der Zeichnung
von Aktien hervorgehenden Rechtsverhältnisse, Straßburg 1874), Dernburg (Preuß.
Privatrecht, Halle 1878, Bd. II. Abth. 2 S. 604), Thöl (Handelerecht, 5. Aufl.,
Bd. I. S. 404), Wiener (in der Goldschmidts'schen Zeitschrift für das gesammte
Handelsrecht, Bd. XXIV. S. 1 ff.), Löwenfeld (Recht der Aktiengesellschaften, Berlin
1879, S. 104 ff.) entwickelt worden sind. Muß man annehmen, daß die Aktien-
gesellschaft bei succefsivem Eingang der Betheiligungserklärungen von einem den Zeich-
nern als Kontrahenten gegenüberstehenden geschlossenen Kreise der Projektanten er-
richtet wird, welche der Zeichnungsscheine und des Statuts als des zur Gründung
gesetzlich vorgeschriebenen Materials bedürfen, so ladet der G. zum Abschluß von
Verträgen mit dem Kreise der Projektanten ein. Durch jeden zu Stande kommenden
Vertrag gewährt der betreffende Zeichner den Projektanten das Recht, den ausgefer-
tigten und ihnen übergebenen Zeichnungsschein zum Zwecke der Gründung der Ge-
sellschaft mitzuverwenden und den Zeichner dadurch, falls ausreichende Betheiligungen
eingehen, zum Aktionär der neuen Gesellschaft zu machen. Die Projektanten über-
nehmen ihrerseits gegenüber dem Zeichner die korrespondirende Pflicht, eventuell modi-
fizirt durch das von ihnen vorbehaltene Recht zur Reduzirung der gezeichneten Be-