Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Haftbefehl. 227 
Auch in den späteren Prozeßstadien kann der Richter einen H. erlassen, so bei- 
spielsweise im Hauptverfahren, wenn der Angeklagte ohne genügende Entschuldigung 
ausbleibt (§ 229) oder nach erkannter Strafe zum Zwecke der Vollstreckung (§ 489). 
Ohne besonderen H. kann der vor Gericht erschienene Angeklagte in Gewahrsam ge- 
halten werden, um ihn zu verhindern, sich vorzeitig von der Gerichtsstelle zu entfernen. 
Die Bestimmungen des Gemeinen Prozeßrechts erleiden gewisse Ausnahmen durch 
die Vorrechte, welche die RVerf. (Art. 31) den Reichstagsmitgliedern zugesteht. Ebenso 
ist anerkannt, daß die landesrechtlichen Vorschriften in Wirksamkeit bleiben bezüglich 
der strafrechtlichen Verfolgbarkeit an Landtagsmitgliedern. Unanwendbar werden die 
Vorschriften der RStrafPO. bei den auf hoher See begangenen Delikten (See- 
mannsordnung § 103). Obgleich die Voraussetzung des Fluchtverdachts durch die 
Verhältnisse fast immer ausgeschlossen erscheint, kann der Schiffer den Schiffsmann 
festnehmen, der sich einer schweren Missethat schuldig macht. Der Festgenommene 
ist an das zunächst zugängliche Seemannsamt oder in dringenden Fällen an die 
ausländische Behörde zur Weiterbeförderung an die Behörde des Heimathshafens zu 
übergeben. Sobald der auf diese Weise Festgenommene ins Inland zurückgelangt, 
müssen die Vorschriften des Gem. R. zu seinen Gunsten angewendet werden. Auch 
die Militärbehörden, auf welche nach Verhängung des Belagerungszustandes die Straf- 
gerichtsbarkeit in erweitertem Umfange übergeht, können in der Aburtheilung von 
Personen bürgerlichen Standes nicht gehalten sein, die Vorschriften der Straf P O. 
zu befolgen. 
Das Oesterreichische R. statuirt eine Unterscheidung zwischen vorläufiger 
Verwahrung und Untersuchungshaft, nöthigt den Richter einen Verhaftsbefehl zu er- 
lassen, wenn es sich um ein mit Todesstrafe oder mindestens zehnjährigem Kerker 
bedrohtes Verbrechen handelt und kennt außer den in Deutschland zulässigen Gründen 
der Verhaftung noch zwei andere: 1) wenn der Thäter auf frischer That betreten 
oder unmittelbar nach der That als des Verbrechens verdächtig durch amtliche 
Nachrede oder öffentlichen Nachruf bezeichnet oder mit Waffen oder mit anderen 
Gegenständen, die von dem Verbrechen oder Vergehen herrühren, oder sonst auf seine 
Theilnahme an demselben hinweisen, betroffen wird. 2) Wenn besondere Umstände 
die Befürchtung rechtfertigen, daß der Beschuldigte die vollendete That wiederholen 
oder eine versuchte oder angedrohte That ausführen werde. 
Am weitesten geht in dem Schutze der persönlichen Freiheit gegen Verhaftung 
die neueste Belgische Gesetzgebung seit 1874. Formalistisch und verwickelt ist das 
Französ. Straf Prz. R., in welchem mandat d’amener, mandat de dépöt, mandat d’arrét 
und ordonnance de prise par corps unterschieden werden, Unterschiede, die ihre 
Wirkungen in den verschiedenen Modalitäten der Aufhebung des H. äußern. 
Quellen: Rötraf PO. §§8 112—115, 123—126, 130, 215, 229, 235. — Frankreich: 
Code rinstr. Crim. 61 art. 94, 133; Ges. v. 20. Mai 1863 (sur ’instr. des flagr. délits devant 
les tribunaux correct.); Ges. v. 14. Juli 1865. — Oesterreich: StrafP O. 8#§ 175 ff. — 
Belgien: Ges. v. 20. April 1874. — Italien: Ges. v. 30. Juni 1876. 
Lit.: Außer den Kommentaren f.: Sundelin, Die Habeas-Corpus-Acte zum Schutze 
der pers. Freiheit, 1862. — v. Holtzendorff im Handbuch des D. Strafrz., I. S. 339.— 
Dochow, RtrasPrz. (3. Aufl.), 5 52. — v. Schwarze, Bemerkungen über die Krim Polizei in 
der D. Straf Ztg., 1862, Sp. 148. — S. Meyer, Handbuch des Oesterr. Straf Prz.R., I. 
S. 586. — Hélie, Traité de Tinstr. crim., III. 1514—1523, IV. 1948—1985; Der- 
selbe, Pratique criminelle, I. 193—206. — Dutruc, Code de la détention préventive, 
1866. — Prins et Pergameni, Reforme de FPinstruction pféparatoire en Belgique, 
1871. — Nypels, Loi du 20 avril 1874. — Timmermans, Ertudes sur la détention 
préventive, 1878. — L. Lucchini, II carcere preventivo (2. ed.), Venezia 1873. — Caso- 
rati, Codice di procedura penale ltaliana, B. II. (1876). — Glaser, Engl.-Schott. 
Straser., S. 84 ff. — Gneist, Engl. Kriminal Verf, I. 580. — Fischel, Verf. Englands, 
S. 92. — Hurd, 4 treatise on the right of personal libert) and the writ of Habeas 
Oorpus (Albany 1870). — Paterson, Commentaries on the liberty of the subject, London 
v. Holtzendorff. 
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