Handelsgerichte. 243
merce handelt, zuständig sind, nach anderen Gesetzen ist ihre Kompetenz beschränkter,
z. B. auf Ansprüche gegen einen Kaufmann aus dessen Handelsgeschäften (RO.)
oder aus Klagen aus zweiseitigen Handelsgeschäften (D. G. §5 101). Unab-
hängig hiervon sind ihnen bei uns gewisse Sachen, besonders Wechsel= und See-
rechtssachen, überwiesen. Andererseits sind die Einzelrichtersachen den H. entzogen.
Verschiedenheiten finden ferner statt in Betreff des Fallimentsverfahrens und der
Exekutionsinstanz. Nach Französ. R. gebührt die Leitung des ersteren den H., da-
gegen kommt ihnen die Vollstreckung der von ihnen gefällten Urtheile nicht zu.
Das Verfahren vor den Kammern für Handelssachen unterscheidet sich, abgesehen
vom Wechselprozeß, nur hinsichtlich der Dauer der gesetzlichen Einlassungsfrist (zwei
Wochen statt eines Monats: GVG. § 102) von dem landgerichtlichen Prozeß.
Als eine Besonderheit darf kaum angeführt werden, daß die Kammer über Gegenstände,
zu deren Beurtheilung eine kaufmännische Begutachtung gehört, sowie über das Vor-
handensein von Handelsgebräuchen aus eigener Sachkunde entscheiden kann. Nach
anderen Gesetzgebungen tritt der summarische Charakter des Prozesses vor den H. be-
sonders hervor. Dazu kommt, daß in den Ländern, wo ein Anwaltszwang stattfindet,
dieser bei den H. vielfach wegfällt; die Parteien können selbst ihr Wort führen oder
sich kaufmännischer Vertreter bedienen. In Frankreich findet keine Zuziehung des öffent-
lichen Ministeriums statt und dem Zeugenbeweis ist mehr Spielraum gelassen, als
im gewöhnlichen Verfahren. Als zweckmäßig wird auch gerühmt die den H. ein-
geräumte Befugniß eines renvoi des parties devant des arbitres behufs eines Aus-
gleiches oder einer Expertise (C. d. proc. art. 429). Hiervon soll namentlich in Paris
oft zum Zweck einer Abkürzung der Prozesse ersprießlicher Gebrauch gemacht werden.
C. Vom gesetzgeberischen Standpunkt ist die Frage, ob eigene H. zu
errichten seien, neuerdings oft und lebhaft erörtert worden. Die Gegner der In-
stitution machen namentlich geltend, daß derartige Sondergerichte der Idee der
Rechtsgleichheit, also dem Prinzip des modernen Staates, widersprechen; sie meinen
ferner, daß das technische Element in Handelssachen nicht größere Schwierigkeiten
darbiete, als in anderen Streitigkeiten, daß die Kaufleute, die man etwa als Richter
zuzöge, doch immer nur in ihrer Geschäftsbranche genauer Bescheid wissen könnten
und dabei häufig parteiische Anschauungen zu Tage fördern würden; daß es juristisch
geschulten Richtern, die, wie freilich vorauszusetzen, dem Leben nicht entfremdet sein
dürften, leichter sein würde, den Anforderungen des Verkehrs und den Usancen ge-
recht zu werden, als umgekehrt den Handeltreibenden juristisch zu denken und Rechts-
sätze anzuwenden. Man beruft sich endlich auf das Beispiel der praktischen Eng-
länder, Nordamerikaner, Holländer, die, wie erwähnt, ohne H. auskommen.
Auch bei der Berathung des Deutschen G. in der Reichtagskommission sind
diese Gesichtspunkte sehr energisch geltend gemacht worden und haben in erster Lesung
zu völliger Beseitigung der von den H. handelnden Bestimmungen des Entwurfs
geführt. In zweiter Lesung hat man sich sodann über die Errichtung von Kammern
für Handelssachen in dem obigen Sinn und mit einer viel beschränkteren als der
ursprünglich beabsichtigten Zuständigkeit geeinigt.
Kein H. in dem vorerwähnten Sinn war das ROH. Dieses sollte eine
Gewähr dafür darbieten, daß die durch das H##. geschaffene einheitliche Grund-
lage auch in der Rechtsprechung erhalten bliebe. Am 27. Juli 1870 in Leipzig
eröffnet, hat der Gerichtshof durch Plenarbeschluß vom 2. Sept. 1871 den obigen
Namen angenommen, er zerfiel nach dem Geschäftsregulativ vom 1. Sept. 1871 in
zwei Senate, zu denen später ein dritter hinzukam. Die Gediegenheit seiner
Judikatur hat ihm sehr bald eine leitende Stellung nicht blos für die Entwickelung
des H.N., sondern für die Deutsche Rechtsentwickelung überhaupt verschafft. Durch
neuere Gesetze wurde seine Kompetenz mannigfach über das Gebiet des H.R. hinaus
erweitert. Er hat bis zum 1. Oktober 1879 (Eröffnung des Reichsgerichts) be-
standen. Näheres bei Goldschmidt, Handb., I. (2. Aufl.) § 20.
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