Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Handels= und Gewerbekammern. 259 
und dem Dekrete vom 30. Aug. 1872 ihre Entstehung verdankten. In Bayern 
find 8 H. und G. seit 1869, in Württemberg gleichfalls 8 seit 1854 bzw. 1874. 
Baden hat erst durch das Gesetz vom 11. Dez. 1878 ähnliche Organe wie in den 
übrigen Deutschen Ländern sich beigelegt, die momentan in der Organisation 
sich befinden. Vorher waren nur freie Genossenschaften von der Regierung zu diesem 
Zwecke benutzt worden. Sachsen hat 4 H. und G. und in Leipzig je eine getrennte 
Handelskammer und eine Gewerbekammer. Braunschweig hat eine, Hessen fünf 
Handelskammern, Weimar hat eine Gewerbekammer, in Sachsen-Meiningen sind 
neuestens zwei H. und G. eröffnet worden. In den Hanfestädten sind die Handels- 
kammern mehr als in allen übrigen Staaten, sie bilden ein Stück der dortigen 
Staatsverfassung. Endlich giebt es in Preußen noch acht sog. Aeltesten= Kollegien 
der Kaufmannschaft mit dem Rechte der juristischen Persönlichkeit, welche nicht unter 
dem Handelskammergesetze, wenigstens nicht in allen Beziehungen stehen. — Einer 
Handelskammergesetzgebung entbehren nur noch eine Reihe der kleineren Fürsten- 
thümer, deren Industrie nicht bedeutend genug ist, zu solchen Schöpfungen Anlaß 
zu geben. In jüngster Zeit hat man dem Gedanken neue Nahrung gegeben, ganz 
Deutschland auf einheitlicher Grundlage eine Handelskammergesetzgebung zu verschaffen 
und liegt momentan den Deutschen Handelskammern ein Entwurf vor, welcher dem 
Reichsamte des Inneren später unterbreitet werden soll. Was den Namen Gewerbe- 
kammern betrifft, so ist dieser Ausdruck in Württemberg ohne wesentliche Bedeutung, 
weil die Wahlbasis wenigstens faktisch wenn auch nicht rechtlich die gleiche, wie überall 
dort ist, wo nur Handelskammern bestehen. Anders in Sachsen und in Bayern, wo 
die Gewerbekammern sich aus denjenigen rekrutiren, welche eine gewisse Gewerbesteuer- 
summe bezahlen. Die in den Hansestädten in den letzten 8 bis 10 Jahren entstandenen 
besonderen Gewerbekammern sind wieder wie die Handelskammern ein Stück der Staats- 
verfassung dieser Städte. Sie haben sich mit besonderer Vorliebe der Pflege des Kunst- 
gewerbes zugewandt und gewiß mit Glück, denn in der Wiedereinführung der Kunst- 
gewerbe läßt sich allein wieder jene Schaffensfreudigkeit, jene ethische Seite des Gewerbe- 
lebens wach machen, welche im Mittelalter so Großartiges fertig stellen ließ. Alle 
mechanischen Wege, das heutige Gewerbeleben auf neue Basis zu stellen, werden fruchtlos 
sein, wenn nicht in dieser Richtung neues Leben in die Verhältnisse gebracht werden 
wird. Man hat in neuerer Zeit vielfach davon gesprochen, es möchten Gewerbekammern, 
richtiger Handwerkskammern analog zu den Handelskammern errichtet werden, jedoch 
sind bisher alle diese Petitionen gescheitert, da man glaubt, daß diesen Interessen 
in den Gewerbevereinen schon genügend Rechnung getragen ist und daß die letzteren 
ja durchaus in der Lage sind, die einschlägigen Handelskammern zum Schutze ihrer 
Interessen zu benutzen. Die aktive und passive Wahlfähigkeit der Handelskammern 
hat zur Unterlage das Handelsregister. Die Unvollkommenheit der Einrichtung ist 
daher begreiflicherweise Gegenstand lebhafter Beschwerden in den Kreisen der Handels- 
kammern. Die Erneuerung der Kammern ist wie bei den Parlamenten eine von 
drei zu drei Jahren wechselnde. Der Kostenaufwand, — das ist für deren finanzielle 
Unabhängigkeit nach oben und unten höchst wichtig — wird auf die direkten Ge- 
werbesteuern der Wahlberechtigten umgelegt, oft auch von den Staatsbehörden selbst 
auf Kosten der Kammern eingehoben. Das Amt der Mitglieder ist eine Ehrenstelle. 
Häufig ist den Handelskammern auch noch die Oberaufsicht über andere kommerzielle 
Institute: Börsen, Häfen, Lagerhäuser 2c. anvertraut, endlich ist kaum noch be- 
sonders beizufügen, daß ihre Aufgabe nur eine berathende ist und nie eine beschluß- 
fähige sein kann. Sollen wir von der Wichtigkeit und Bedeutung dieser Institute 
noch sprechen, so ist dieselbe sehr verschieden. Es ist z. B. interessant, daß Frank- 
reich das Land der conseils, der Berathungskörper quand même, es doch nie zu be- 
sonders wirksamen Handelskammern gebracht hat, während in Deutschland sich ein 
Reihe von solchen Korporationen einen sehr achtbaren Namen erworben. Dabei ist nicht 
ausgeschlossen, daß in einzelnen Theilen Deutschlands das freie Vereinswesen wieder 
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