Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Hauptverhandlung. 275 
zeichnete ist. — Eine sehr häufig schon in diesem Stadium auftauchende Frage ist 
die der Vertagung; über die Kompetenz zur Entscheidung f. d. Art. Gerichts- 
vorsitzender, strafpr. In sachlicher Hinsicht ist für diese Entscheidung maßgebend 
einerseits die Vorsorge dafür, daß weder die einmal begonnene H. unter Verursachung 
von Zeit= und Kraftvergeudung, nochmaliger Bemühung der Zeugen und Gefährdung 
des Werthes der wiederholt vorzuführenden Beweismittel abgebrochen, noch, um 
dies zu vermeiden, auf gründliche und allsfeitige Erörterung der Sache verzichtet 
werden müsse, — andererseits, daß immer der Staat und häufig der Angeklagte 
ein Interesse daran hat, daß die Strafsachen nicht verschleppt werden. Wenn 
der Grund der Vertagung nicht in äußerlichen Vorgängen liegt, so wird aller- 
dings eine Art Vorprüfung des künftigen Beweismaterials dabei nicht zu um- 
ehen sein. 
ach II. Die Grundsätze, welche für die Gestaltung des Verfahrens in der H. maß- 
gebend sind, sind die, auf denen der gesammte Strafprozeß beruht. Bezüglich der 
Oeffentlichkeit und Mündlichkeit ist auf die betreffenden Artikel, bezüglich 
beider und des Anklageverfahrens auf John's Ausführungen in Th. I. Suppl. 
S 1| ff., 50 ff. zu verweisen. Hier sind nur die speziell für den Gang der H. zu 
ziehenden Konsequenzen zu besprechen. Der Grundsatz der Mündlichkeit und Un- 
mittelbarkeit führt zu der Forderung, daß die ganze Verhandlung als ein einheit- 
licher Vorgang aufgefaßt werde. Wer über das Ergebniß derselben urtheilen soll, 
der muß ihr vollständig und unter Umständen beigewohnt haben, welche dem Durch- 
schnittsgedächtniß gestatten, alle Vorgänge genau festzuhalten. Daraus folgt, 
daß nach allen Prozeßgesetzen die theilweise Abwesenheit einzelner Mitglieder des 
Gerichtes oder der Jury als Verletzung wesentlicher Formen des Verfahrens gilt, 
und daß zwischen kurzen Unterbrechungen der H., wie sie bei größeren Sachen 
unvermeidlich sind, Vertagungen auf kurze Zeit (d. i. auf wenige Tage) und 
längeren Vertagungen unterschieden wird (vgl. Oesterr. StrafP O. 88 273—276; 
Deutsche Strafp O. §§ 145, 227). Die Deutsche StrafP O. hebt die dritte eben 
angedeutete Art der Vertagung durch eine positive Bestimmung von den anderen 
Fällen ab: „Eine unterbrochene H. muß spätestens am vierten Tage nach der 
Unterbrechung fortgesetzt werden, widrigenfalls mit dem Verfahren von Neuem zu 
beginnen ist“. — In sachlicher Hinsicht fordert der Grundsatz der Mündlichkeit, daß 
die Urtheiler nichts berücksichtigen, was ihnen nicht in der H. vorgeführt wurde. 
Die Vorführung des Inhaltes von Schriftstücken kann dabei allerdings nie ganz 
ausgeschlossen werden; andererseits aber kann durch das Ueberwuchern der Verlesung 
von Akten der Voruntersuchung die Unmittelbarkeit der Verhandlung zur bloßen 
leeren Form gemacht werden. (Vgl. d. Art. Beweisverfahren.) — Die H. ist 
ein kontradiktorisches Verfahren. Es braucht hier auf den Gegensatz zwischen 
Anklage= und Untersuchungsprinzip und die Vermittelungen, die durch die Einschiebung 
der „Anklageform“ versucht wurden, so wenig, als auf eine Charakteristik der prin- 
zipiellen Haltung der StrafPP O. eingegangen zu werden: daß eine H. ohne die 
Anwesenheit von Repräsentanten der Anklage und Vertheidigung nicht zulässig sei, 
ist feststehender Grundsatz. Was die Staatsanwaltschaft betrifft, so wird nach 
Französischer Auffassung ihre Anwesenheit schon als öffentlich-rechtliche Bedingung 
der Wirksamkeit des Gerichtes und daher der Konstituirung desselben angesehen. 
Nach der Deutschen und Oesterr. StrafP O. kommt sie aber nur da in Betracht, 
wo von der Staatsanwaltschaft die öffentliche Klage zu vertreten ist. — Für den 
Angeklagten ist die Anwesenheit bei der H. das wichtigste seiner Rechte, zugleich 
aber auch eine Pflicht, der er sich nicht willkürlich entziehen kann. Beide Regeln 
erleiden indeß Ausnahmen. Zunächst kann es zur besseren Aufklärung der Sache 
dienlich erscheinen, daß der Angeklagte während einzelner Theile der H. abwesend 
fei; es kann dies entweder den Zweck haben zu verhindern, daß er seine Aussagen 
nach dem eben Vernommenen modifizire oder doch, daß sie wegen des Verdachtes, 
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