278 Hauptverhandlung.
In all diesen Punkten muß Jedermann ohne Unterschied der Stellung sich der
Antorität des Gerichtes, unter allfälliger Wahrung des Rechtszuges, fügen. Hieraus
ergiebt sich von selbst die Stellung des Gerichtes zu den Parteien; über die beson-
dere Stellung dee Gerichtsvorsitzenden f. diesen Art.; über die Anwendung
dieser Grundsätze auf das Beweisverfahren und deren Modifigirung durch die Ver-
nehmung des Angeklagten sowie bei den Parteivorträgen f. unten.
IV. Ordnung des Verfahrenus. Bringt das Prinzip der kontradikto-
rischen Verhandlung es mit sich, daß Parteien auftreten, aktiv in den Gang der
Dinge eingreifen und auf die zur Fällung des Urtheiles Berufenen einzuwirken
suchen, so beruht der moderne Straf Prz. des Kontinentes keineswegs auf einer blos
passiven, receptiven Haltung des Gerichts in der H. Auch bei bloßer Entgegen-
nahme von Beweismaterial kann man nicht ganz passiv sich verhalten; dies zeigt
sich an der Stellung der Jury, welche ganz vorzugsweise zu einer passiven Rolle
während der Verhandlung berufen ist, da zur Thätigkeit statt ihrer das Gericht
verpflichtet ist; trotzdem aber hat man ein Fragerecht der Geschworenen, ja selbst ein
Recht, auf Beweiserhebungen anzutragen, anerkennen müssen. Auch der Englische
Richter kann seine passive Rolle nicht festhalten, wenn ein von keinem Ver-
theidiger unterstützter Angeklagter vor Gericht steht. Der kontinentale Strafusrz.
geht aber darüber weit hinaus; er läßt in der H. eine Mitwirkung der Parteien zu,
weist aber dem Gericht (und speziell dessen Organ nach außen hin, dem Vorsitzenden)
die Hauptthätigkeit zu, welche durch die Parteithätigkeit eben nur ergänzt wird.
Das Gericht hat nicht, wie im rein inquisitorischen Prozeß, allein und mit künst-
licher Fernhaltung der Parteien, das Prozeßmaterial zu bestimmen; es hat ferner,
wo nicht auch diese Seite des Anklageprozesses verkümmert ist, sich streng auf das
durch die Anklage ihm bezeichnete Objekt seine Thätigkeit zu beschränken. Aber es
darf nicht nach dem Vorgang des Civilprozesses sich dabei beruhigen, über die An-
klage auf Grund des von den Parteien vorgebrachten Materials zu entscheiden, und
diesen die Verantwortung lassen, wenn unzweckmäßige oder unvollständige Vorführung
desselben eine materiell unrichtige Entscheidung bewirkt. Vielmehr hat es selbst
nach beiden Richtungen zu wirken.
Diese prinzipielle Stellung des Gerichtes ist maßgebend für die Anordnung des
Ganges der H. auf dem Kontinent. Drei Typen mündlicher H. im StrasPrurz. treten
hervor: Der Römische Straf Prz. auf dem Höhepunkt der quaestiones perpetuge
begann mit den Plaidoyers der Parteien, ließ das Beweisverfahren nachfolgen und
die Urtheilsfällung sich unmittelbar daran schließen, während später noch eine Wie-
derholung und weitere Ausführung (comperendinatio) eingefügt ward. — Im
Englischen Schwurgerichtsverfahren bildet die Erklärung des Angeklagten über die
ihm vorgehaltene Anklage (arraignment) einen besonderen Prozeßakt; erst wenn er
sich für „nicht schuldig“ erklärt hat, erfolgt seine Ueberweisung an die Jury (giving
the prisoner in charge to the jury) und damit die H. (Trial). Der aktiven Rolle
der Parteien entspricht es, daß nunmehr der die Anklage vertretende Advokat seine
Eröffnungsrede hält (opening the case for the prosecution). „Zweck dieser Rede“,
sagt Rüttimann, „ist, den Geschworenen eine kurze Uebersicht des Falles zu
geben, damit sie zum Voraus wissen, zu welchem Ende hin jeder einzelne Zeuge
aufgerufen wird, was durch ihn bewiesen werden soll, und in welchem Zusammen-
hange jedes einzelne Zeugniß mit dem ganzen Beweis sich befindet“. Hieran schließt
sich die Abhörung der Zeugen, welche die Anklage vorführt, in der bekannten Me-
thode des Kreuzverhörs (s. d. Art. Beweisverfahren). Am Schluß faßt
der Vertreter der Anklage die Ergebnisse seiner Beweisführung in einem Vortrag
zusammen (st. 28 Vict. c. 18). Das weitere Verfahren ist ein verschiedenes, je
nachdem die Vertheidigung selbständige Beweise vorführen will oder nicht; im letz-
teren Falle hält der Vertheidiger lediglich einen Vortrag, in welchem er das Er-
gebniß der Beweisführung einer Kritik unterzieht, und welchen der Ankläger nicht