Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Hauptverhandlung. 279 
beantworten kann. Im entgegengesetzten Falle hält der Vertheidiger einen Eröffnungs- 
vortrag, welchem die Vorführung der Entlastungsbeweise und der Schlußvortrag des 
Vertheidigers folgt. Geschieht dies aber, so hat der Vertreter der Anklage das 
Recht, mit einer Replik zu schließen. Daran reiht sich der Schlußvortrag (charge) 
des Richters und der Wahrspruch. — (In Schottland folgen dagegen die Plaidoyers 
der Anklage und Vertheidigung dem abgeschlossenen Beweisverfahren nach.) — Im 
Französischen Schwurgerichtsverfahren ist der Gang der H. folgender: Ver- 
nehmung des Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse, Beeidigung der Ge- 
schworenen, Verlesung der Anklageschrift und des Verweisungserkenntnisses, eventuell 
mündliche Entwickelung der Anklage durch den Generalprokurator, Aufruf der Zeugen, 
Vernehmung des Angeklagten, Zeugenverhör, Parteivorträge, Resumé des Präsidenten, 
Stellung der Fragen an die Geschworenen. Im Verfahren vor dem Zuchtpolizeigerichte 
modifizirt sich der Gang der Sache (auch abgesehen von den auf die Juny sich be- 
ziehenden Vorgängen) einigermaßen: Die mündliche Entwickelung der Anklage ist die 
Regel, manchmal wird sie durch bloße Verlesung der an den Beschuldigten ergangenen 
Ladung ersetzt, sodann folgt sogleich das Beweisverfahren; das Verhör des An- 
geklagten schließt sich erst hierauf an, und daran reihen sich die Parteivorträge 
und die Urtheilsfällung. Der Typus des Französischen Schwurgerichtsverfahrens 
ist nun auch in den neuesten StrafP O., namentlich auch in der Deutschen 
zur Geltung gelangt, welche insbesondere Gneist dem Englischen Typus näher 
zu bringen vergebens (außer der eventuellen Ueberlassung der Zeugenvernehmung 
an die Parteien) sich bemühte. Die Abweichungen bestehen (abgesehen von dem Zeit- 
punkt für die Feststellung der Fragen an die Geschworenen) nur darin, daß sowol 
nach der Oester. StrafP O. (§ 241) als nach der Deutschen (§ 242, Abs. 1) der 
Aufruf der Zeugen, in unmittelbarem Anschluß an die Vernehmung des Angeklagten 
über seine persönlichen Verhältnisse, dem Vortrag der Anklage vorangeht. 
V. Einleitende Schritte. Wenn der für die Abhaltung der H. bestimmte 
Tag und die für eine einzelne Sache bestimmte Stunde, oder wenn die Sitzung der 
Erledigung mehrerer Sachen durch dasselbe Gericht gewidmet ist, die für Eröffnung 
der Sitzung bestimmte Stunde gekommen ist, tritt das erkennende Gericht in volle 
Thätigkeit. Die stellvertretende Thätigkeit des Vorsitzenden oder eines blos be- 
rathenden Kollegiums (in Oesterreich der Rathskammer) hat spätestens in diesem 
Augenblicke ihr Ende erreicht. Es ist dies um so wichtiger, weil vor Beginn der 
H. mancherlei Fragen zu entscheiden sein können: Prüfung der gehörigen Zusammen- 
setzung des Gerichts, Anträge auf Vertagung und Aussetzung der Verhandlung 
u. dgl. Schon das ist zweifelhaft und hängt in Ermangelung ausdrücklicher gesetz- 
licher Bestimmungen oder einer ausgesprochenen, konstanten Uebung, von takt- 
voller Beurtheilung des Gerichtes ab, ob über Bedenken, die der sofortigen Aburthei- 
lung entgegenstehen, noch vor Eröffnung der H. in berathender Sitzung zu entscheiden 
sei, oder die Austragung der Frage von der Erörterung in eröffneter Sitzung ab- 
hängig zu machen sei. Als Regel darf wol angesehen werden, daß wenn überhaupt 
die Möglichkeit einer kontradiktorischen Verhandlung vorhanden und die völlige Nutz- 
losigkeit der Eröffnung der H. nicht klar zu Tage liegt, der Diskussion und Ent- 
scheidung der Frage in der Sitzung nicht vorzugreifen ist. Handelt es sich um 
Präklusion, so wird ohnehin dazu das Verstreichen der zur Eröffnung der Sitzung 
bestimmten Zeit nicht immer genügen, sondern die wirkliche Eröffnung der Augenblick 
sein, wo die Präklusion eintritt. Doch sind die mannigfaltigsten Verhältnisse hier maß- 
gebend, in Schwurgerichtsfällen namentlich, ob die Bildung der Geschworenenbank 
der Eröffnung der H. vorherzugehen hat. (Man wird wol beim Einlangen der 
sicheren Nachricht vom Tode oder einer schweren Erkrankung des Angeklagten die H. 
nicht erst eröffnen.) — Aus all dem folgt die unbedingte Nothwendigkeit, die Er- 
öffnung der H. ausdrücklich zu kennzeichnen; es geschieht dies am richtigsten
	        
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